Ich, ich und immer nur ich: Neoliberalismus als Widergänger des Faschismus

Moralische Werte kann man niemandem aufzwingen. Deswegen kann die nötige Debatte über eine zeitgemäße Ethik nur durch Argumente angeregt werden.
Noch wichtiger ist allerdings ein vorbildliches Verhalten. Wer Andere von seinen Werten überzeugen will, muss sich nach besten Kräften bemühen, diese Werte auch selber vorzuleben.
Das Lebensumfeld prägt die Menschen mehr als viele andere Faktoren. Sehr deutlich wird das an entfesseltem Rassismus in Teilen Ostdeutschlands und vor Allem in Sachsen. Wer keine Menschen mit Migrationshintergrund kennt, der fürchtet Flüchtlinge allein schon wegen ihrer Fremdheit.
Solidarität ist aber auch – und vielleicht sogar noch stärker – im Westen Deutschlands zum Fremdwort geworden. So sehr alle auf Mitmenschlichkeit angewiesen sind, so wenig praktizieren viele sie in ihrem Alltag. Glücklicherweise gibt es da aber auch etliche erfreuliche Gegenbeispiele.
Der schleichende Tod der Solidarität ist die Folge jahrzehntelanger Infiltration aller Lebensbereiche mit neoliberalem Marktradikalismus. Diese Ideologie preist die „Freiheit der Märkte“ und lehnt nahezu jede staatliche Regulation der Wirtschaft ab. Alles verechnet sie in Kosten-Nutzen-Relationen als „Ausgabe“ oder „Investition“.
Im Ergebnis ist diese Ideologie eine weniger auffällige – jedoch nicht minder aggressive – Wiedergängerin der Nazi-Parolen vom „unnützen Esser“ und vom angeblich „lebensunwerten Leben“. Neoliberalen Vorstellungen zufolge soll jeder für sich sorgen; dann sei für Alle gesorgt.
Das gesamte Leben betrachtet diese Ideologie als „Wettbewerb“. Nazis haben dafür dereinst das Wort „Kampf“ benutzt. Mitmenschen degradiert diese Ideologie zu „Konkurrenten“ oder bestenfalls „Wettbewerbern“.
Letztlich praktiziert sie das „Recht des Stärkeren“. Wer viel verdient, verdient auch viel. Viele wollen viel verdienen.
Jedem Guthaben stehen anderswo indes auch Schulden gegenüber. Doch etikettiert ja schon die deutsche Sprache deutlich, dass jemand, der Schulden hat, selbst daran schuld sei.
Umverteilung erfolgt deswegen fast immer von unten nach oben. „Wer hat, dem wird gegeben“, sagt ein altes Sprichwort schließlich.
Soziale Gerechtigkeit ist nur hinderlich auf dem Weg zu eigenem Reichtum. Hohe Spitzensteuersätze schaden angeblich dem „Standort“. Denn auch bei der Ansiedlung von Firmen und Menschen herrscht natürlich wieder dieser wunderbare Wettbewerb.
Gute Geschäfte sind gut für den Unternehmer und für das Land. Sie schaffen Arbeitsplätze. Moralische Skrupel müssen hinter diesen wichtigen Gesichtspunkt zurücktreten.
Waffengeschäfte dienen dem Wohle der Wirtschaft. Wenn die exportierten Waffen irgendwo in der Welt bei Kriegseinsätzen verwendet werden, kann der Lieferant nichts dafür. Wenn vor den Kriegen mit Beteiligung deutscher Waffen Menschen nach Deutschland flüchten, dann sind die Waffen ganz gewiss nicht die „Fluchtursache“.
Ohnehin sind diese Flüchtlinge ja nur ein Kostenfaktor. Bleiben dürfen allenfalls die, die fleißig in solchen Jobs schuften, zu denen sich sonst keiner mehr bereitfindet.
Menschlichkeit und Mitgefühl bleiben angesichts dieser ruppigen Grundhaltung auf der Strecke. Wer tagtäglich lernt, dass Alles in Euro und Cent berechnet wird, der wird bald entweder berechnend, depressiv oder wütend.
Humanität ist jedoch die Voraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft. Wo jeder jedem zu Recht misstraut, da kann keine Kreativität mehr aufkeimen. Vertrauen indes ist nicht einfach so zu haben, wenn Kriminalität selbst bei Topmanagern als Kavaliersdelikt und Betrug als „Schummelei“ verharmlost werden.
Wer nicht den Mut findet, ab und an einmal über den eigenen Schatten zu springen und jemandem wenigstens ein wenig zu vertrauen, der wird irgendwann viel mehr Mut benötigen, seine Wohnung überhaupt noch zu verlassen. Die Welt kann sich nur weiterentwickeln, wenn Menschen ihre eigenen Bedürfnisse auch als berechtigte Grundlage für das Handeln anderer Menschen erkennen. Der „Kategorische Imperativ“ des Königsberger Philosophen Immanuel Kant gilt nach wie vor, wonach man jeden so behandeln sollte, wie man selber gern behandelt werden möchte.
Ein weiterer Satz von Kant ist ebenso wichtig. Darin forderte er jeden auf: „Habe den Mut, Deinen Verstand zu gebrauchen!“
Mut benötigt man manchmal schon, wenn man tiefer nachdenkt über die Welt. Mut benötigt man auch, wenn man sie verändern will. Mut ist aber nötig, weil ohne eine Veränderung das Elend immer größer wird und irgendwann jeden erreichen wird. Franz-Josef Hanke

4 Kommentare zu “Ich, ich und immer nur ich: Neoliberalismus als Widergänger des Faschismus

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