Nie wieder: Gedenken ist unentwegtes Eintreten für Menschenwürde

Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das KZ Auschwitz. 75 Jahre danach sind Antisemitismus und Rassismus wieder auf dem Vormarsch.
Wer den industriellen Mord an mehr als 6 Millionen Menschen und damit das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte als „Vogelschiss“ abtut, der wiederholt damit die Entmenschlichung der Opfer und verharmlost die Taten der Massenmörder. Zugleich bereitet er den Boden für eine erneute Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion, ihres Aussehens, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer politischen Überzeugung. Der Schwur „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ war Ausdruck der Erkenntnis der Überlebenden, dass kein Mensch sich jemals wieder über das Lebensrecht anderer Menschen erheben oder sie – aus welchen Gründen auch immer – entmenschlichen darf.
Gedenken ist nur dann im Sinne der Opfer, wenn es sich in die Zukunft hineinwendet und die Lehren aus der Geschichte dorthin weiterträgt. Deshalb bleibt Gedenken ebenso eine ewige und unvollendbare Aufgabe wie das Eintreten für Demokratie und Menschenrechte. Am Ende ist dieses Engagement nichts Anderes als aktives Gedenken.
Gedenken ist nur dann konsequent, wenn es nicht zwischen „guten“ und „weniger guten“ Opfern unterscheidet. Ob Juden, Christen, Roma und Sinti, Behinderte oder Kommunisten ermordet wurden, darf dabei keine Rolle spielen. Anderenfalls würde sogar das Gedenken noch der Ideologie der Nazis folgen, die Menschen in „gut“ und „nützlich“ oder „Volksschädlinge“ und „unnütze Esser“ unterschieden.
Gedenken ist nur dann zukunftsgewandt, wenn es sich im Alltag gegen jede Form der Ausgrenzung und Herabwürdigung von Menschen wendet. Rassismus beispielsweise in Form einer Ausgrenzungsrhetorik gegen Geflüchtete ist unvereinbar mit zukunftsgewandtem Gedenken der Opfer des Faschismus. Jeder Mensch verdient gleichermaßen Respekt und die uneingeschränkte Achtung seiner Würde.
Der Artikel 1 des Grundgesetzes ist nicht nur eine Zielvorgabe, sondern die erste und wichtigste Verpflichtung aller staatlichen Organe. Gerade aus ihrer persönlichen Erfahrung in Konzentrationslagern und im Exil haben die „Mütter und Väter des Grundgesetzes“ die Menschenwürde als Artikel 1 ganz an den Anfang des grundgesetzes gestellt. Nicht nur an Gedenktagen wie dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz müssen sich Verwaltung und Politik wie auch Bürgerinnen und Bürger beschämt eingestehen, dass die Menschenwürde in Deutschland tagtäglich mit Füßen getreten und so das Gedenken der Shoa geschändet wird.

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