Gebetet und gekniet: Lieber Heilger Florian, lass keinen Flüchtling an uns ran!

Die EU-Migrationspolitik ist noch schlimmer als die deutsche Flüchtlingspolitik. Seit Jahren folgt sie dem Floriansprinzip.
„Lieber heilger Florian, verschon mein Haus, zünd andre an“, lautet das berühmte Gebet katholischer schwäbischer Häuslesbauer oder dessen augenzwinkernde Verballhornung durch ihre protestantischen Nachbarn. Die mediterrane Version reimt: „Wenn Flüchtlinge vom Schlauchboot winken, lassen wir si im Meer ertrinken, weil wir dann nicht in Schulden versinken.“
Die zwei Elemente des Floriansprinzips europäischer Flüchtlingspolitik sind das Abkommen von Dublin und die Behinderung der Seenotrettung auf dem Mittelmeer. Beide sind im Ergebnis genauso brutal wie der in Kauf genommene Flammentod der Nachbarn.
Der Dublin-Vertrag legt fest, dass Geflüchtete ihren Asylantrag in dem Land stellen müssen, wo sie zum ersten Mal europäischen Boden betreten. Dieses Land ist dann für das weitere Verfahren zuständig. Damit haben die Binnenländer die Verantwortung an diejenigen EU-Mitgliedsstaaten abgeschoben, deren Grenzen zugleich Außengrenzen der Europäischen Union (EU) sind.
Eine gerechte Lastenverteilung ist in diesem Abkommen nicht vorgesehen. Die Grenzländer werden vielmehr alleingelassen mit den finanziellen und organisatorischen Lasten, während reiche Länder wie Deutschland sich nur um wenige Flugpassagiere und die Abwehr weiterreisender Flüchtlinge aus Dublin-Staaten kümmern müssen.
Damit ist das Abkommen von Dublin nicht nur ungerecht für das Gefüge in der EU, sondern auch gegenüber Geflüchteten, die so gezwungen werden, in den ärmeren Mitgliedsstaaten des europäischen Südens unter oft unmenschlichen Umständen auszuharren. Die Brutalität dieses Dublin-Regimes erweist sich gerade jetzt zu Zeiten der Corona-Pandemie in überfüllten Flüchtlingslagern auf griechischen Inseln und dem enormen Infektionsrisiko angesichts erbärmlicher hygienischer Rahmenbedingungen. Diese Umstände kann man als psychische und physische Folter der – oft bereits traumatisierten – Geflüchteten bezeichnen.
Noch brutaler ist die systematische Behinderung der Seenotrettung auf dem Mittelmeer. Sie ist ein offenkundiger Ausdruck spätkolonialer Gewalt. Solange die EU und ihre Mitgliedsstaaten Menschenleben dort vorsätzlich – durch ihr „Tun durch Unterlassen“ – ersäufen, ist die EU zutiefst inhuman.
Dergleichen ist nicht nur Unterlassene Hilfeleistung und ein Bruch des Völkerrechts, das die Rettung aus Seenot zwingend vorschreibt, sondern sogar ein bewusst herbeigeführter Mord aus niedrigen Beweggründen. Wann wird jemand einmal Strafanzeige wegen dieser Tötungsdelikt stellen und wann werden Gerichte darüber verhandeln und Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen? Diese Frage steht schon seit langem in der gesamten EU auf der Agenda.
Diese Verbrechen sind nur möglich, weil der darin brutal durchgesetzte Rassismus von vielen immer noch schweigend hingenommen wird. Eines Tages aber werden die Nachgeborenen fragen, wie diese Barbarei im angeblich so aufgeklärten 21. Jahrhundert möglich gewesen sein kann. Wer nicht dagegen aufsteht wie die „Seebrücke“ und andere Gruppen der Flüchtlingshilfe, muss sich später fragen lassen, wo er war und was er gemacht hat, als die Menschlichkeit einem rassistischen Rechtspopulismus geopfert wurde.
Lange schon notwendig ist die Organisation einer staatlichen Seenotrettung auf dem Mittelmeer und die Umverteilung der Schiffbrüchigen auf alle EU-Mitgliedsländer. Notwendig ist zudem die Öffnung von Asylbüros in afrikanischen Ländern, damit Migrierende dort nicht den gefährlichen Weg durch die Sahara und Ligyen sowie weiter über das Mittelmeer nehmenmüssen. Notwendig ist die Anerkenntnis, dass die Opfer jahrhundertelanger kolonialistischer Ausplünderung ein Rechthaben, Wiedergutmachung einzufordern und am – von ihnen erpressten – Wohlstand Europas teilzuhaben.
Organisationen wie die Flüchtlingshilfe Pro Asyl und die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirchenasyl verfügen in diesem Bereich über weitaus mehr Expertise als die Humanistische Union (HU) oder ich persönlich. Die Debatte muss aber aus der Sphäre der Expertinnen und Experten herausgelöst und in die Mitte der Gesellschaft getragen werden. Schließlich sind Kolonialismus, Migration, wirtschaftlicher Wohlstand in Europa und der aufziehende Rechtspopulismus eng miteinander verknüpft.
Die Menschenrechte der Geflüchteten zu verteidigen, ist deswegen Voraussetzung für die Behauptung des demokratischen Rechtsstaats. Wer vor Rechtspopulisten einknickt, opfert nicht nur die Rechte der Migrantinnen und Migranten, sondern auch die Chance auf eine gewaltfreie Zukunft. Gewalt ist Fluchtursache für viele Menschen und zugleich eine bittere Erfahrung vieler Geflüchteter nach ihrer Ankunft in Europa.
Eine humane Migrationspolitik ist eine notwendige Bedingung für die Zukunft des demokratischen Rechtsstaats in Europa. Er diese Debatte abblockt oder mit Gewalt unterdrückt, zerstört damit einen elementaren Grundpfeiler des Rechtsstaats, indem er die Rechte der geflüchteten Menschen missachtet. Gerechtigkeit und Gleichheit sind jedoch universelle Werte, die nicht – in kolonialem Stil – auf bestimmte Gruppen auserwählter „Europäer“ begrenzt werdenkönnen.
Das sind nur einige Gedanken, die ich mir anlässlich des „Tags der Flüchtlinge“ am 20. Juni gemacht habe. Sie sind noch nicht ausgereift und schon gar nicht vollständig. Vielleicht können sie aber der Anlass sein für weitere konstruktive Diskussionen darüber, wie dem institutionalisierten Rassismus der europäischen Migrationspolitik zu begegnen ist.

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