Tanz um den Sarg – Bewegender Abschied von Erdmuthe Sturz

Rund 200 Trauergäste füllten die Kapelle beim letzten Geleit für die jüngst verstorbene Marburgerin Erdmuthe Sturz. Auf dem Friedhof am Rotenberg wurde die mit 60 Lebensjahren einer Krebserkrankung erlegene Ehegattin von Franz-Josef Hanke am Freitag (8. Oktober) feierlich bestattet.

Für die Leitung der Trauerzeremonie war der bundesweit bekannte Ökonom und Theologe Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ gewonnen worden. Die Zeremonie fand im katholischen Ritus statt. Allerdings trat in einigen der ausgewählten Texte deutlich hervor, dass die Verstorbene selber in kritischer Distanz zur katholischen Amtskirche stand.

Eröffnet wurde die Feier mit dem meditativ einstimmenden Ersten Satz des Oktetts von Franz Schubert. In einem von Hengsbach vorgetragenen Prosa-Gedicht von Lothar Zenetti wurde die Würde des Zweifelns, was das Lebensende betrifft, bekräftigt.

Aus der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach trug der Lehrer-Eltern-Chor der Elisabethschule zwei Strophen vor. In diesem Chor hatte die Verstorbene selbst viele Jahre lang mitgesungen.
Einen Bibel-Text aus dem Buch Kohelet nahm der Jesuitenpater zur Basis einer Betrachtung über Leben und Zeitverwendung. Überrascht bemerkten einige Anwesende aus dem nichtreligiösen Drittel der Deutschen, dass sie den Text aus dem – von Pete Seeger vertonten – Song „Turn turn turn“ von den „Byrds“ darin wiedererkannten.
Der einzige – nicht der Klassik zuzuordnende – musikalische Beitrag kam von dem stimmgewaltigen blinden Musiklehrer Rainer Husel, den in Marburg nahezu jeder kennt. Den Text „Imagine, there’s no Heaven“ trug er zur Gitarre vor. Lied-Autor John Lennon hätte am Samstag (9. Oktober) seinen 70. Geburtstag feiern können.
Als Vorsitzender des Personalrats der Elisabethschule lobte Hartmut Koch die engagierte Arbeit seiner Amtsvorgängerin und ihre freundliche, aber konsequente Art. Selbst gut zwei Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst sei ihr Platz im Lehrerzimmer immer noch unbesetzt.
Vier Bekannte der Verstorbenen brachten als „Fürbitten“ persönliche Erinnerungen an Sturz zu Gedächtnis. Besonders eindrücklich sprach Dr. Wiltraud Ackermann als Vorsitzende der Marburger Kreisgruppe im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), zu deren Gründungsmitgliedern Sturz gehört hatte.
Das protestantische Kirchenlied „Von guten Mächten“ – mit einem Text von Dietrich Bonhoeffer intonierte der Organist Oskar Roithmeier zum Mitsingen für die Trauergemeinde. Den Nachruf auf ein aktives Leben voll Engagement in beruflichen wie privaten Sphären hielt im Anschluss daran der Fernsehjournalist und Nachrichtensprecher Dr. Hans-Josef Schöneberger.
Die 1950 geborene Tochter streng katholischer Heimatvertriebener aus dem Sudetenland wuchs in Darmstadt auf und besuchte dort ein altsprachliches Gymnasium. Ihr Studium der Altphilologie und Anglistik auf Lehramt absolvierte sie in Frankfurt am Main.
Die Fächer Latein und Englisch unterrichtete sie im Folgenden 32 Jahre lang. 15 Jahre lang war sie an der Gesamtschule Stadtallendorf und weitere 15 Jahre bis zur Freistellungsphase ihrer Altersteilzeit an der Marburger Elisabethschule tätig.
Sturz engagierte sich im Chor der Schule ebenso wie gewerkschaftlich im Personalrat, dessen Vorsitzende sie zwei Jahre lang war. Sie setzte sich dort insbesondere ein für eine gerechtere Verteilung der Arbeitsbelastung.
Eine neu eingerichtete bilinguale Klasse brachte die Englischlehrerin „an den Rand der Verzweiflung“. Sie sei aber nicht die einzige Lehrkraft gewesen, „die das Mobbing dieser verwöhnten Zöglinge anspruchsvoller Eltern krank gemacht hat“, berichtete Schöneberger. „Ist es ein Zufall, dass in den letzten Jahren zwölf Lehrende der Elisabethschule an Krebs oder dem Burning-Out-Syndrom erkrankt sind? Sind die Arbeitsbedingungen dort wirklich menschlich?“
Sturz hingegen stand eher für ein umgängliches, ausgleichendes und heiteres Gemüt, das zu Karnevalszeiten den Schülern rheinische Frohnatur vorlebte. Das war eine der Vorlieben, die sie über fast zwei Jahrzehnte hinweg mit ihrem blinden Lebenspartner Franz-Josef Hanke teilte.

Erst 2009 heirateten die beiden nach 18 Jahren gemeinsamen Beziehungslebens. Es war eine überaus harmonische Beziehung, weil sie sich gegenseitig auf das Wesentliche konzentrierten, sagte Schöneberger. Sturz begleitete Hanke regelmäßig in Theateraufführungen und Konzerte sowie auf vielen beruflichen und privaten Reisen.

Als Angehörige der 68er-Generation war sie auch politisch engagiert. Zu den Werten, für die sie sich aktiv einsetzte, gehörten insbesondere der Umwelt- und Naturschutz, die nichtmilitärische Sicherung des Friedens und die soziale Gerechtigkeit.

Ihre persönliche Liebe gehörte ein Leben lang der Kultur und vor allem der klassischen Musik. Sie spielte selber Cembalo, Orgel und Gitarre und sang in Chören.

Über 30 Jahre lang war Sturz aktives Mitglied der Landesarbeitsgemeinschaft Tanz Hessen. Dort tanzte sie internationale Volkstänze sowie Historische Tänze.

Die Sopranistin Marion Klausen intonierte das „Ave Maria“ in F-Dur des von Sturz hoch geschätzten Johann Sebastian Bach zu Orgelbegleitung. Hengsbach trug ein letztes Gebet vor. Dann folgte die Trauergemeinde den Sargträgern zur Bestattungszeremonie am Grab.

Dort wurde zunächst ein langsamer, meditativer Kreistanz nach Bernhard Wosien rund um den Sarg für alle Trauergäste zur Teilnahme angeboten. Die Musik dazu kam vom Barock-Komponisten Johann Pachelbel.

Nach diesem bewegten Zeremoniell wurde der Sarg ins Grab gesenkt. Hengsbach sprach seinen Segen. Es formierte sich die traditionelle Beileids-Ritual-Warteschlange, bei der jeder Teilnehmende ein paar Blüten und eine Schaufel Erde auf den Sarg wirft.

Jürgen Neitzel

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