Kniffliger Kniefall: Über Wunden, die noch nicht überwunden sind

Rassismus ist tief eingedrungen in die deutsche Alltagssprache. 1.000 Jahre Rassenwahn sind immer noch nicht überwunden.
Die Debatte über das Wort „Rasse“ im Grundgesetz ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass auch gut gemeinte Formulierungen zur Vermeidung von Diskriminierung am Ende dennoch diskriminierend wirken können. Allerdings stellt sich dann sofort die Frage, ob der – aus diesem Wort abgeleitete –
Begriff „Rassismus“ nicht eines Tages vielleicht auch geächtet werden könnte. Wenn es keine „Rassen“ gibt, dann kann „Rassismus“ allenfalls als unzutreffende Behauptung angeblicher Unterschiede auf Basis der – dem „Rassenwahn zugrundeliegenden – Ideologie verstanden werden.
„Ausländer“ und „Fremde“ sind immer subjektive Benennungen. „Fremdenhass“ hingegen müsste eigentlich eine abgrundtiefe Verachtung unbekannter Regionen bezeichnen. Wer Menschen aufgrund ihres Aussehens herabwürdigt oder bedroht, der wendet sich damit gegen ein unerwünschtes Erscheinungsbild und nicht gegen Fremde.
„Migrationshintergrund“ war einst der Versuch, Wörter wie „Ausländer“ oder „Flüchtlinge“ durch einen vermeintlich „politisch korrekten“ Begriff zu ersetzen. Für die Debatte über Rassismus taugt das Wort jedoch wenig, da sehr viele Menschen im Lauf ihres Lebens den Wohnort wechseln und damit eine „Binnenmigration“ vollziehen oder Eltern sowie vielleicht Großeltern haben, die in den Zeiten des 2. Weltkriegs geflüchtet oder vertrieben worden sind. Zudem ist der „Hintergrund“ in diesem zusammengesetzten Substantiv eher geeignet, die vorangestellte Migration inden Vordergrund zu stellen.
Das „N-Wort“ kannheute kein vernünftiger Mensch mehr unbedacht benutzen. „POC“ als Abkürzung für „Person of Colour“ oder „People of Colour“ ist zwar ein englischer Begriff, aber international gebräuchlich. „Schwarze“ wäre nurdas deutsche Wortfür das „N-Wort“ als dessen lateinische Entsprechung.
Am Beispiel von Behinderten kann man beobachten, wie das Wort „Krüppel“ wegen der darin enthaltenen Herabwürdigung durch „Behinderte“ ersetzt und später durch den Zusatz „Menschen“ ergänzt wurde, bis inzwischen auch das Wort „behindert“ wieder zum Schimpfwort gewordenist. „Political Correctness“ kann Menschenverachtung also nicht gänzlich aushebeln, sondern höchstens anprangern.
Bei diskriminierungsfreier Kommunikation kommt es sowohl auf das Umfeld an, indem Wörter gebraucht werden, als auch auf Sensibilität gegenüber allen Mitmenschen. Darum kann eine „Verbotsliste“ oder ein „Lexikon der Unworte“ nurwenig weiterhelfen. Ebensowenig befreit eine Positivliste von möglichen sprachlichen Zurücksetzungen.
Die Verherrlichung von „Kraft“ als Ausdruck vermeintlicher Überlegenheit triebendie Nationalsozialisten selbst bis in unscheinbare Details des Alltagslebens: „Kraft durch Freude“ (KdF) war der Name der NS-Organisation, die Menschen in Ferien verschickte, ihnen Geld für einen „Volkswagen“ aus der Tasche zog oder sie mit dem – auf deutsche Sendereingestellten –
„Volksempfänger“ beglückte. „Kraftfahrzeug“ oder „Kleinkraftrad“ sind aber heute noch gängige Nazi-Wörter im sprachlichen Alltag.
„Ausmerzen“ war zwar ursprünglich ein Wort aus der Pflanzenzucht, bekam bei denNazis aber eine wahrlich mörderische Bedeutung. „Schwachsinn“ steht immer noch im Strafgesetzbuch (StGB), um nicht strafmündige Täter vor unangemessener Verfolgungzu bewahren. Natürlich kann und muss das nicht jede und jeder wissen, sollte diese Wörter aber mit Vorsicht benutzen.
Letztlich ist allenanzuraten, selber auf ihre Sprache zu achtenund Diskriminierungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Allerdings ist wichtig, dass nicht aus lauter Furcht vor Fehlern jeglicher Kontakt mit Behinderten, People of Colour oder anderen oft diskriminierten Gruppen gemiedenwird. Wenn die Sprachlosigkeit zu Ausgrenzung führt, dann führt eine zwanghafte „Political Correctness“ am Ende auch zu Ausgrenzung.
Die fröhliche Neubelebung „verbrauchter“ Begriffe hat die sogenannte „Krüppel-Bewegung“ Anfangder 80er Jahre erfolgreich vorexerziert. Allerdings gibt es Betroffene,für die solch „verdorbbene“ Worte jedesmal wieder eine persönliche Verletzung darstellen. Darum ist auchdas keinallgemeingültiges Muster für den Umgangmit „Unwörtern“.
Am Ende kann sich keine und keiner ersparen, sich immer wieder selber zu hinterfragen, wie sie oder er mit Sprache umgeht. Wünschenswert wäreOffenheit aller für Sprachregelungen, die in persönlichen Begegnungen ausgelotet und eventuell auch auf Augenhöhe solidarisch miteinander diskutiert werden.

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