Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde!
Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen gab es gestern abend wieder mal nur Gewinner: Trotz des schlechtesten Ergebnisses bei einer Landtagswahl in NRW seit der Gründung dieses Bundeslandes äußerte der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering Zufriedenheit. Die Ausgangslage für die bevorstehende Landtagswahl sei für die SPD besser geworden. Auch der CDU-Landesvorsitzende Jürgen Rütgers redete das Ergebnis schön. Trotz drastischer Verluste um sieben Prozentpunkte sah er seine Partei als Gewinnerin der Wahl. Grüne und FDP hatten tatsächlich zugelegt und durften zu Recht zufrieden sein.
Wir alle kennen das schon: Es gibt immer nur Gewinner. Nach dem alten DKP-Motto „Niederlagen in Siege verwandeln“ findet jeder Politiker irgendein dünnes Härchen, an dem er den Erfolg seiner Partei auch aus der desaströsesten Wahlschlappe noch herausziehen kann.
Ebenso wie mit schlechten Wahlergebnissen gehen die Herrschaften auch mit anderen unangenehmen Wahrheiten um: Beruhigen, Beschwichtigen, Schönreden!
Das tun sie auch mit „Hartz IV“. Wenn das Gesetz erst einmal in Kraft sei, dann kämen auch die Arbeitsplätze – wie von Geisterhand aus dem Nichts – und alle würden frohlocken und die Weisheit dieser weitsichtigen Politiker preisen.
Liebe Freundinnen und Freunde, mich erinnert das an Helmut Kohls „blühende Landschaften“ im Osten Deutschlands. Dort warten die Menschen immer noch vergeblich auf die Erfüllung der vollmundigen Versprechen des Einheits-Kanzlers.
Und sie werden warten, bis sie schwarz werden, oder bis viele von ihnen braun geworden sind!
In der Domstadt am Rhein hat eine rechtsextreme Liste namens „Pro-Köln“ erheblich zugelegt. Auch die Wahlergebnisse in Brandenburg und Sachsen vom vorletzten Wochenende bereiten mir Sorgen. DVU und NPD ziehen dort in die Landtage ein. Auch deshalb stehe ich heute hier.
Eine alte Dame vom Jahrgang 1915 hat kürzlich gesagt, die Stimmung zur Zeit erinnere sie fatal an die zu Ende der 20er Jahre. Perspektivlosigkeit, Angst und die Suche nach Sündenböcken waren in der deutschen Geschichte schon einmal der Nährboden für den braunen Sumpf.
Sicherlich wiederholt sich die Geschichte nicht einfach nach dem selben Muster und sicherlich kann man die Zeit vor 1933 nicht mit der heutigen vergleichen, doch sollten die unübersehbaren Parallelen uns eine Warnung sein!
Da behaupten manche dreist, wir – die Demonstrierenden in Dresden, Leipzig, Magdeburg und Marburg oder auch anderswo – wir seien verantwortlich für das Erstarken der Neonazis. Wenn eine Schuld-Zuweisung aber überhaupt zulässig ist, dann trifft sie die Politik der regierenden Parteien und derjenigen, die mit ihnen in Sachen Sozialabbau gemeinsame Sache machen. Mit den entwürdigenden Droh-Szenarien von „Hartz IV“ treiben sie die Menschen geradezu in die Arme des Neofaschismus!
Gleichzeitig beteuern sie gebetsmühlenartig, diese sogenannte „Reform“ sei notwendig und werde ihren angeblichen Nutzen noch erweisen. Das Volk sei nur zu dumm, das zu erkennen. Man werde das Ganze aber „besser erklären“, kündigte Bundeskanzler Gerhard Schröder an.
Wie weit es mit diesen „besseren Erklärungen“ her ist, das konnten Marburger Erwerbslose in den vergangenen vierzehn Tagen am eigenen Leibe erfahren: Das Arbeitsamt hatte einen Brief an die Leistungsbezieherinnen und -bezieher verschickt. Darin lud es sie ein, sich ganz „freiwillig“ über „Arbeitsgelegenheiten“ für 1,50 Euro informieren zu lassen. Bei mehreren „Informationsveranstaltungen“ pries ein Vertreter der Arbeitsagentur dann solche „Arbeitsgelegenheiten“ an. Wer sie ab Oktober 2004 ergreife, der werde damit sechs, neun oder gar ganze zwölf Monate beschäftigt sein. Wer jetzt nicht zugreife, dem drohe ab dem 1. Januar 2005 dann die zwangsweise Verpflichtung auf einen „Ein-Euro-Job“.
Fragen nach diesen „Ein-Euro-Jobs“ gemäß „Hartz IV“ konnte der Mann von der BA übrigens nicht beantworten. Darüber sei er noch nicht informiert, beteuerte er.
Das ist also die Information, die Gerhard Schröder den Erwerbslosen versprochen hat. Wie sind dann wohl seine anderen Versprechungen zu bewerten?
Aber, liebe Freundinnen und Freunde, lasst Euch nicht ins Boxhorn jagen! Wir sind heute wie an jedem Montag hier, um für eine sozial gerechte Gesellschaft einzutreten. Das geschieht auch auf einer bundesweiten Großdemonstration am Samstag in Berlin. Wer am 2. Oktober mit uns im Bus demonstrieren fahren möchte, der kann gleich noch Fahrkarten erwerben. Haltet Euch an mich!
Aber sonst haltet nicht an Euch! Kommt auch weiterhin zu den Marburger Demos gegen Sozialabbau. Jeden Montag um 18 Uhr geht es vor dem Sozialamt los.
Damit wir später nicht zum Sozialamt gehen müssen, müssen wir jetzt zum Sozialamt gehen. Und auch nach Berlin! Reiht Euch ein in unseren Marsch, tretet Schröder in den A – lso dann bis Samstag oder spätestens nächsten Montag!
Franz-Josef Hanke