Es gibt noch sozial denkende Politiker in der SPD. Einer von diesen letzten Aufrechten ist Ottmar Schreiner. Angesichts der aktuellen Debatte um die Erhöhung der Milchpreise hat er am Dienstag (31. Juli) auch eine Anhebung des Arbeitslosengeldes II (ALG II) gefordert. Doch da sind ihm gleich die Generalsekretäre der beiden Koalitionsparteien in die Parade gefahren.
SPD-Generalsekretär Hubertus Heil lavierte in der typisch sozialdemokratischen Weise „vorsichtig“ herum. Doch wollte er die Forderung seines „linken“ Parteigenossen nicht offen unterstützen.
Der CDU-Generalsekretär reagierte noch deutlicher. Ronald Pofalla erklärte Schreiners Forderung für „absurd“. Das Arbeitslosengeld II könne sich nicht an einzelnen Produkten orientieren, die gerade teurer würden.
Offenbar hat der Mann keine Ahnung: Schon die Verteuerung eines einzigen Grundnahrungsmittels kann den Beziehern von ALG II finanziell das Genick brechen. Wer mit jedem Cent rechnen muss, für den ist die Steigerung der Milch- und Getreidepreise eine überaus bedrohliche Tatsache.
„Das Berechnungssystem bedeutet Armut per Gesetz“, kritisierte der Linken-Politiker Klaus Ernst. Die Strategie der Verantwortlichen, dass ALG II niedrig zu halten, hat der Bundesagentur für Arbeit (BA) im laufenden Jahr einen Gewinn von 2,5 bis 3 Milliarden Euro beschert. Dieses Geld ist den Erwerbslosen regelrecht vom Munde abgespart worden.
Während neoliberale Politiker nun über eine Ausschüttung dieses „Gewinns“ an die Unternehmer in Form einer Beitragssenkung diskutieren, denken andere Politiker doch noch über Verbesserungen für die Betroffenen nach.
Die stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Thea Dückert forderte, dass die Berechnung des Regelsatzes insgesamt zeitnaher erfolgen und die Lebenshaltungskosten realistisch widerspiegeln müsse. „Milch ist kein Luxusgut und darf auch keines werden.“ Auch die in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegenen Energie-Preise seien nicht ausreichend berücksichtigt.
Pofalla hingegen verwies ignorant darauf, dass die Höhe des Arbeitslosengeldes II alle zwei Jahre überprüft wird. Sie ist an die Höhe der Renten gekoppelt.
Ganze zwei Euro mehr haben die Bezieher von ALG II Anfang Juli deswegen erhalten. Diese Erhöhung war allerdings die Erste seit Einführung des Sozialgesetzbuchs II (SGB II) zum 1. Januar 2005. Berechnungsgrundlage war sogar die Höhe der Leistungen nach dem damaligen Bundessozialhilfegesetz (BSHG) im März 2004. Und dabei haben die Verantwortlichen nach Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands (DPWV) sogar noch einen Rechenfehler zu Ungunsten der Leistungsempfänger gemacht!
Deswegen sichert das ALG II nicht einmal mehr das Existenzminimum ab. Von einer armutsfesten sozialen Sicherung kann keine Rede sein. Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung ist längst Makulatur, wonach die Höhe der Sozialen Sicherung gemäß dem „relativen Armutsbegriff“ errechnet werden muss.
„Die Zahl der Menschen, die von Hartz IV-Leistungen abhängig sind, hat einen absoluten Höchststand erreicht“, vermeldete Hans Jörg Duppré in Berlin. Nach Angaben des Präsidenten des Deutschen Landkreistags (DLT) ist die Zahl der Hilfe-Empfänger im April 2007 auf rund 7,4 Millionen gestiegen. Damit habe sie einen historischen Höchststand erreicht.
In der aktuellen Arbeitslosen-Statistik seien hingegen lediglich rund 2,5 Millionen Menschen erfasst, betonte DLT-Sprecher Markus Mempel. Die von der Politik verkündete „positive, hoffnungsvolle Botschaft“ sei ein Trugbild. „Es geht nicht bergauf, ganz im Gegenteil“, betonte Mempel.
Der Landkreistag kritisierte, dass in der Arbeitslosenstatistik lediglich die Langzeit-Arbeitslosen erfasst seien. Ein-Euro-Jobber mit mehr als 15 Wochenstunden oder Kranke etwa fänden sich dagegen nicht in der Statistik wieder, obwohl sie auch von ALG II abhängig seien. Gleiches gelte für Erwerbstätige im Niedriglohn-Bereich, die zusätzlich auf „Hartz IV“ angewiesen seien.
Millionen Menschen vegetieren also in Deutschland am Rande oder gar unterhalb des Existenzminimums. Millionen Menschen enthält die herrschende Politik eine Anpassung ihrer Einkünfte an gestiegene Preise vor. Anstelle der durchschnittlichen Teuerungsrate, die auch die Preise für technische Geräte, Autos und andere – eher luxuriöse – Güter mit einbezieht, muss man bei der Berechnung des Existenzminimums die sogenannte „gefühlte“ Inflation zugrunde legen. Darunter verstehen Statistiker die Entwicklung der Preise für jene Güter, die jeder tagtäglich einkaufen muss.
Doch das scheint viele Politikaster in Berlin nicht zu interessieren. Angesichts ihrer Ignoranz und des persönlichen Elends vieler Betroffener wie beispielsweise des Berliner Frührentners Detlef Rochner packt einen wirklich die Wut.
Es gäbe eine einfache und gerechte Möglichkeit, dieser berechtigten Empörung entgegenzutreten: Die Leistungen von Hartz IV müssten an die Höhe der Bezüge von Politikern gekoppelt werden. Erhöhen sie ihre Diäten, so steigt das ALG II um genau den gleichen Betrag.
Franz-Josef Hanke