pm 6/98: Soll der Staat mehr über uns wissen als wir selbst? – Gegen ein bundesweites Gen-Kataster wendet sich die Humanistische Union.

In der von Bundesinnenminister Manfred Kanther geplanten Datenbank mit „Genetischen Fingerabdrücken“ sieht der HU-Ortsverband Marburg einen schwerwiegenden Verstoß gegen geltendes Recht.
In der Osterausgabe der „Welt am Sonntag“ verkündet Kanther, er wolle das Bundeskriminalamt anweisen, umgehend eine Datenbank mit „Genetischen Fingerabdrücken“ aufzubauen. Dazu will der Bundesminister in der Woche nach Ostern eine Anhörung der Länder durchführen.
Die HU fordert den hessischen Innenminister auf, seine Zustimmung zu diesem Projekt zu verweigern. Sie schließt sich der Einschätzung des hessischen Datenschutzbeauftragten an, der eine solche Datenbank für unvereinbar mit den Bestimmungen des grundgesetzlich garantierten Datenschutzes hält. Darüber hinaus verstößt die Gen-Kartei nach Auffassung des HU-Ortsvorsitzenden Franz-Josef Hanke auch gegen den verfassungsrechtlich festgelegten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Der HU-Vorsitzende verdeutlicht seine Einschätzung am Fall des Gen-Schleppnetzes bei der Fahndung nach dem Mörder der elfjährigen Christina Nitsch. 18.000 Männer aus der Umgegend von Strücklingen waren von der Polizei aufgefordert worden, „freiwillig“ eine Speichelprobe abzugeben.
„Diese Aktion dient weniger der Fahndung nach dem Mörder, als vielmehr der Durchsetzung des Gen-Schleppnetzes“, argwöhnt Hanke. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sei der Täter unter denjenigen Männern zu vermuten, die der Aufforderung keine Folge geleistet haben. Die Proben seien deshalb für die konkrete Fahndung wohl wertlos.
Von „Freiwilligkeit“ könne bei dieser Spucknetz-Fahndung auch keine Rede sein, meint Hanke: „Angesichts der hysterischen Stimmung nach dem Sexualmord herrscht ein enormer Druck, an dieser gentechnischen Reihenuntersuchung teilzunehmen.“
Diese Stimmung habe die Polizei genutzt, um mit der Massenuntersuchung in Niedersachsen vollendete Fakten zu schaffen. Eventuelle Bedenken könne sie hier leicht mit dem Argument ausräumen, durch diese Maßnahme möglicherweise einen gefährlichen Kindermörder dingfest machen zu können.
Dafür nehme die niedersächsische Polizei den weitreichendsten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von über 17.000 rechtschaffenen Bürgern in Kauf, den sich Ermittler in Deutschland jemals herausgenommen haben: Die Polizei erhebt persönliche Daten, die die Betroffenen selbst nicht kennen.
Dazu stellt der HU-Vorsitzende fünf Fragen: „Wo werden die jetzt erhobenen Daten gespeichert? Wer hat Zugang zu ihnen? Wann werden sie gelöscht? Was unternimmt die Polizei, wenn sie bei der Auswertung der Speichelproben auf Krankheiten oder Gen-Defekte ihrer Lieferanten stößt? Und wie hoch belaufen sich die Kosten dieser Aktion?“
„Dem obersten Bundes-Sheriff Kanther kommt diese Aktion gerade recht“, konstatiert Hanke, „um sich auf der allgemeinen Stimmung sein Süppchen zu kochen.“ Der Bundesminister habe in den vergangenen Wochen gleich drei Beispiele dafür geliefert, wie er Freiheitsrechte einschränken und Polizeibefugnisse ausbauen will. Nach dem „Großen Lauschangriff“ und dem von Kanther gleichzeitig propagierten „Großen Spähangriff“ – vorsichtiger als „Video-Überwachung“ bezeichnet – habe Kanther in der vergangenen Woche der Polizei auch das Recht zu Schleppnetzfahndungen mit Personenkontrollen und Durchsuchungsaktionen ohne aktuelle Begründung einräumen wollen.
Entsetzt zeigt sich die Bürgerrechtsorganisation darüber, daß Kanthers Vorschlag auch vom hessischen Innenstaatssekretär positiv aufgegriffen wurde. Die Humanistische Union fordert die Landesregierung eindringlich auf, sich allen Tendenzen zur Einschränkung von Freiheitsrechten und zur Errichtung eines Polizeistaats entschieden zu widersetzen.

Dragan Pavlovic

Über dp

Pressesprecher der HU Marburg

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