Der Neoliberalismus ist gescheitert. Er versagt bei der wesentlichen Aufgabe, die ein Wirtschaftssystem überhaupt zu erfüllen hat: „Wirtschaften ist das planmäßige Handeln zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung“, heißt es im Lexikon. Doch die derzeitige neoliberale Wirtschaftsordnung befriedigt allenfalls einige wenige, während die Massen mehr und mehr verelenden.
Kennzeichnend für neoliberale Positionen ist die Ablehnung jeglicher staatlicher Lenkung der Wirtschaft. Allein der Markt soll alles regeln. Soziale Verantwortung ist in dieser Ideologie nicht vorgesehen.
Die „Soziale Marktwirtschaft“ war in Deutschland ein Erfolgsmodell. Ihr verdankte die junge Bundesrepublik das „Wirtschaftswunder“ nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch liest man heute Texte ihres Begründers Ludwig Erhard (CDU), dann muten sie fast wie sozialistische Kampfschriften an.
Von ihrer sozialen Ausrichtung hat sich die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten nach und nach heimlich verabschiedet. An die Stelle ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft ist das alleinige Streben nach schnellen Gewinnen getreten.
Längst funktioniert der Markt auch nicht mehr nach dem Gesetzen von Angebot und Nachfrage. Sie setzen die Gleichheit aller Marktteilnehmer voraus. Tatsächlich haben sich aber mächtige Konzerne gebildet, die anderen Marktteilnehmern ihre Bedingungen aufzwingen.
Durch sein vehementes Beharren auf die absolute „Freiheit“ der Wirtschaft richtet der Neoliberalismus zudem genau die Grundlagen zugrunde, auf denen jede Wirtschaft aufbaut. Prosperieren kann Handel nur, wenn hinreichend Kaufkraft vorhanden ist, um die angebotenen Waren bezahlen zu können. Notwendig ist zudem das Vertrauen aller Beteiligten, dass Sozialer Frieden und Rechtssicherheit garantiert sind.
Doch weist die neoliberale Ideologie jedes staatliche Handeln in enge Schranken. So kann der Staat seine Aufgaben kaum erfüllen, zumal ihm die dafür notwendigen Mittel mehr und mehr entzogen werden. Gewinne sollen nicht durch „überflüssige“ Abgaben geschmälert werden. Die Kosten der bewährten Sozialsysteme wollen neoliberale Propagandisten durch eine höhere „Eigenverantwortung“ senken. Unter diesem Wort verstehen sie die Abwälzung sozialer Risiken auf die Betroffenen. Gleichzeitig wollen sie die Gewinne der Kranken-, Renten- und Unfallversicherungen in private Kanäle lenken.
So bluten Staat und Sozialsysteme zugunsten der Gewinne von Unternehmern aus, die sich für nichts verantwortlich fühlen. Herrschte bis in die 80er Jahre hinein in Deutschland noch der „Rheinische Kapitalismus“ vor, so wurde er seither weitgehend vom „Shareholder-Value-Kapitalismus“ verdrängt. Weitsichtige Unternehmensplanung und die Bildung von Reserven für künftige Investitionen traten zurück hinter die Gewinnerwartungen von Aktionären.
Gipfel dieser Entwicklung sind die sogenannten „Hedge-Fonds“. Sie kaufen Aktienpakete auf, um den so gewonnenen Einfluss in klingende Münze umzusetzen. So zwang der Fonds TCI die Deutsche Börse AG im Frühjahr 2005, ihre „Kriegskasse“ für den Aufkauf der London Stock Exchange nicht für das vorgesehene Ziel einzusetzen, sondern das Geld an die Aktionäre auszuschütten. Ein anderer Fonds zerschlägt ein traditionsreiches süddeutsches Maschinenbau-Unternehmen, um schnell Kasse zu machen. In Jahrzehnten gewachsene Unternehmensstrukturen werden zerstört, damit geldgierige Investoren rasch zu großen Profiten kommen.
Angewandt werden dabei Methoden, die denen von Wegelagerern in nichts nachstehen. „Erpressung“ wäre wohl der passendste Ausdruck für dieses Geschäftsgebaren. Die „Hedge-Fonds“ sind die Raubritter des 21. Jahrhunderts. Sie sind die krankhafte Ausgeburt einer neoliberalen Ideologie, die nicht einmal die Grundlagen der Wirtschaft schützt.
Dabei stehen auch diese Fonds selbst unter starkem Druck ihrer Aktionäre. Ein Beispiel dafür ist der kalifornische Pensionsfonds „Calpers“. Kalifornia Personal soll die Altersbezüge der Beschäftigten des US-Bundesstaats Kalifornien sichern. Minimale Einlagen sollen dabei eine Rendite abwerfen, die den Pensionären einen ausreichenden Lebensstandard ermöglicht. Die Renten der kalifornischen Pensionäre werden mit Hilfe von Hedge-Fonds auf dem Rücken europäischer oder asiatischer Werktätiger durch den rabiaten Raubbau an ihren Unternehmen „gesichert“. Das System funktioniert nur, wenn die Gewinne immer weiter steigen. Es kurbelt eine Spirale der ständig wachsenden Ausplünderung von Ressourcen an.
Die Abkehr vom „Rheinischen Kapitalismus“ hat viele Unternehmen in wirtschaftliche Bedrängnis gebracht. Verfügten sie in früheren Zeiten über ausreichende Rücklagen, so müssen sie heute fast jede größere Investition über Kredite finanzieren. Dadurch werden sie nicht nur abhängig von den Banken, sondern auch vom Zwang zu wesentlich höheren Renditen. Schließlich wollen die Zinsen der aufgenommenen Kredite nun auch finanziert werden.
Deshalb benötigen viele Unternehmen immer höhere Umsätze, um überhaupt noch Gewinn zu erwirtschaften. Oft ist dies nur durch eine Ausweitung der Geschäftstätigkeit auf andere Bereiche möglich. Mitunter werden Zahlungen dabei aber nur prolongiert, indem die Umsatzsteigerung zur Bedienung der Schulden benutzt wird, während gleichzeitig aber neue Verbindlichkeiten in wesentlich höherem Umfang auflaufen.
Wachstum und die Ausweitung von Geschäftsfeldern sind aber nicht unbegrenzt möglich. So suchen viele Unternehmen nach Wegen, wie sie ihre Umsätze noch steigern können. Eine beliebte Strategie ist dabei die Privatisierung staatlicher Leistungen. Sie erlaubt eine Erhöhung der Umsätze bei geringen Kosten für das betreffende Unternehmen.
Die Kosten zahlt in der Regel die Allgemeinheit. Meist muss sie die privatisierten Leistungen teurer bezahlen als zuvor die staatlichen. Zwar spült der Verkauf von Staatseigentum zunächst Geld in die Kassen des Finanzministers, doch sind damit auch die Besitztümer der Allgemeinheit unwiederbringlich veräußert. So verarmt das Gemeinwesen zugunsten der Unternehmen, die damit aber ihre Probleme nicht nachhaltig lösen.
Entlastung verschaffen sich viele Firmen durch den Abbau von Arbeitsplätzen. Auch damit sanieren sie sich auf Kosten der Allgemeinheit, die anschließend die Aufwendung für die Entlassenen tragen muss. Zwar steigen dadurch auch die Ausgaben der Sozialsysteme, doch weigern sich die Unternehmer beharrlich, die Konsequenzen ihres Handelns in Form höherer Beiträge zu Arbeitslosen- und Rentenversicherung zu tragen.
Eine andere Strategie zur Stärkung der eigenen Marktposition sind Fusionen und Übernahmen. Wer selbst nicht als Aufkäufer auftritt, muss damit rechnen, geschluckt zu werden. An die Stelle des klassischen Wettbewerbs treten so Monopole oder Oligopole. Weltumspannende Konzerne werden zu mächtigen Giganten. Ihre internen Strukturen sind denen der einstigen Staatsbetriebe im so genannten „real existierenden Sozialismus“ mitunter vergleichbar. Diese Konzerne sind Riesentanker, die kaum noch manövrierfähig sind.
Geraten derartige Konzerne in wirtschaftliche Bedrängnis, so wird schnell der Ruf nach dem Staat laut. Überdies übergehen viele Manager ihre neoliberalen Grundsätze sofort, wenn sie Subventionen oder andere Vergünstigungen abgreifen können. Ihre neoliberale Gesinnung ist zwar ideologisch verhärtet, respektiert jedoch häufig nicht einmal die eigenen Essentials. Allein die „Freiheit“ und das Geld sind ihnen heilig.
Angeblich soll diese „Freiheit“ zu größerem Wohlstand führen. Die – gebetsmühlenartig wiederholte – Beteuerung, eine Verringerung von Steuern und Sozialbeiträgen schaffe neue Arbeitsplätze, hat sich in der Praxis jedoch als unrichtig erwiesen. Vielmehr werden dadurch nur die Gewinne gesteigert. Gleichzeitig werden der Allgemeinheit immer größere Lasten aufgebürdet.
Ein Beispiel dafür ist die Deutsche Bank. Trotz eines Rekord-Gewinns kündigte ihr Vorstandsvorsitzender die Entlastung von 6.000 Beschäftigten an. Diese Maßnahme sei notwendig, um „fit“ zu sein für den Wettbewerb.
Mit dem Schlagwort „Globalisierung“ erschlägt der neoliberale Ungeist alle Kritik. Die Androhung einer Verlagerung von Produktionsstätten an „kostengünstigere“ Standorte soll Beschäftigte und Regierungen zu Lohn- und Sozial-Dumping erpressen. Die Regelungen der World Trade Organisation (WTO) sichern die dazu erforderlichen „Freiheiten“ ab. Sie garantieren Marktzugang und den ungehinderten Warenverkehr.
In der so genannten „Dritten Welt“ festigen diese Regeln die Position der – meist korrupten – Eliten. Kredite erhalten diese Länder in der Regel nur, wenn sie sich den Bedingungen der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der WTO beugen. Diese Institutionen treten an die Stelle der überkommenen Kolonialmächte. Aber auch sie zementieren die Abhängigkeit der „armen“ von den „reichen“ Nationen.
Auf Dauer kann das aber nicht gutgehen. Die derzeitige Politik gefährdet den Sozialen Frieden weltweit wie auch innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft. Der internationale Terror erhält nicht ohne Grund Zulauf aus Regionen, die sich als Verlierer der Globalisierung betrachten. Und spätestens dann, wenn die Menschen in Europa Hunger leiden, werden auch sie protestieren wie in jüngster Zeit die Bürger einiger lateinamerikanischer, aber auch schon einzelner osteuropäischer Länder.
Der Neoliberalismus spielt ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. In seiner gewaltigen Gier verschluckt er sich an den Brocken, die er sich einverleiben will. Er verfrühstückt die Ernte der kommenden Jahre schon heute, um dann an Übersättigung zu erkranken.
Längst hat sich die Wirtschaft zum eigentlichen Machtzentrum aufgeschwungen. Während sie alle Freiheiten genießt, sind die Spielräume der Regierungen stark eingeschränkt. Viele Staaten können ihre Aufgaben kaum noch finanzieren. Selbst die USA gälten als bankrott, wären sie ein Wirtschaftsunternehmen.
Der Not gehorchend, machen sich viele Politiker zu willigen Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft. Beraterverträge und Nebenjobs versüßen ihnen diese „Freundschaftsdienste“. Von Bestechung kann natürlich keine Rede sein, denn im politischen Alltag gilt die Devise „Geld regiert die Welt.“ Es wird höchste Zeit, dass Vernunft die Welt regiert!
Franz-Josef Hanke