„Das bedingungslose Grundeinkommen“ war am Montag (12. Juni) im Hörsaalgebäude Thema einer Informationsveranstaltung des Allgemeinen Studierenden-Ausschusses (AStA), des Vereins „AkademikerInnen-Solidarität Marburg“ (ASM), der Humanistischen Union (HU) und des Zentrums für Konfliktforschung (ZFK) der Philipps-Universität. Andre Presse vom Institut für Entrepreneurship der Universität Karlsruhe skizzierte Chancen und Risiken dieser Alternative zum bisherigen Sozialsystem.
Bis ins 16. Jahrhundert hinein seien die europäischen Gesellschaften agrarisch geprägt gewesen. Mit dem Merkantilismus setzte dann allmählich die Industrialisierung ein, erklärte Presse in seinem geschichtlichen Rückblick. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seien die Industriegesellschaften dann immer mehr zur Dienstleistungsgesellschaft mutiert. Inzwischen habe die Technik aber die Menschen nicht nur aus der Produktion verdrängt, sondern auch schon aus vielen Dienstleistungsberufen. Der Computer ersetze auch dort zunehmend die menschliche Arbeitskraft.
In der Industrie bestünden inzwischen gigantische „Überkapazitäten“, berichtete der Betriebswirt. In Wahrheit mangele es den Menschen aber nur an Geld, die Produkte in der großen Zahl zu kaufen, in der sie hergestellt werden könnten.
Die geringe Kaufkraft sei ein Ergebnis der Ankoppelung des Einkommens an die Arbeit. In der Automatisierung vieler Produktionsprozesse und Dienstleistungen sieht Presse aber die Möglichkeit, Menschen von Arbeit freizustellen. Diese Chance werde zur Zeit aber nicht genutzt.
Stattdessen seien alle wesentlichen Systeme an die Erwerbsarbeit angekoppelt: Das Sozialsystem finanziere sich aus Abgaben auf Einkommen. Die Steuern würden ebenfalls auf Einkommen erhoben. Einkommen erzielten die Menschen aber überwiegend aus ihrer Arbeit.
Doch gebe es nicht genügend Erwerbsarbeit für alle. Mit der Freistellung der Menschen von der Arbeit würden sie somit aber zugleich auch von einem auskömmmlichen Einkommen befreit.
Eine Alternative dazu bietet nach Presses Überzeugung das bedingungslose Grundeinkommen. Jede Bürgerin und jeder Bürger erhielte einen bestimmten Betrag, ohne dafür besondere Voraussetzungen erfüllen zu müssen. Im Idealfall reicht dieser Betrag aus, um davon ein menschenwürdiges Leben führen zu können.
Zur Finanzierung dieses Grundeinkommens schlug Presse ein Umsteuern beim Steuersystem vor: Anstelle der Besteuerung von Einkommen müsste der Konsum besteuert werden. Das führe allmählich zu einer Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von den Besitzenden hin zu den Konsumierenden.
In der Bundesrepublik liege die Steuerquote derzeit bei rund 50 Prozent. Nach und nach könnte die Produktsteuer eine ähnliche Höhe erreichen. Zur Zeit liegt die Mehrwertsteuer in deutschland bei 16 Prozent.
Was auf der Steurseite zusätzlich eingenommen werde, das müsse aber auch umgehend wieder als Grundeinkommen an die Bevölkerung ausgeschüttet werden. Dadurch würde der Konsum angekurbelt, da die meisten Menschen dieses Geld wieder ausgeben.
Zu einem Grundeinkommen kämen dann Einkünfte aus Arbeit hinzu, die dann aber nicht mehr denselben Zwangs-Charakter hätten wie heute: Die Menschen seien nicht mehr gezwungen, jede Arbeit unter den miserabelsten Bedingungen anzunehmen. Sie könnten weniger arbeiten und sich sinnerfüllte Aufgaben suchen.
Würden die derzeitigen Transferleistungen nicht mehr als Renten, Arbeitslosengeld oder Kindergeld ausgeschüttet, sondern als Bedingungsloses Grundeinkommen an jeden Bundesbürger verteilt, dann läge der Satz bei ungefähr 625 Euro.
Für sinnvoll hielten die Anwesenden ein Grundeinkommen, das oberhalb des Existenzminimums angesiedelt ist. Dann wären die Menschen von dem Zwang befreit, um Sozialleistungen „betteln“ und sich für deren Bezug rechtfertigen zu müssen.
Weitgehende Einigkeit herrschte in der Diskussion unter den gut 60 Besucherinnen und Besuchern der Veranstaltung darüber, dass das derzeitige System keine dauerhaft tragfähige Lösung darstellt. Nach Einschätzung mehrerer Diskussionsteilnehmer wird das bestehende Sozialsystem schon in wenigen Jahren in sich zusammenbrechen.
Das Bedingungslose Grundeinkommen biete eine Alternative, die jedem das Recht auf ein Leben in Würde und die Teilhabe an der Gesellschaft garantiert. Eindrucksvoll erläuterte Presse, dass eine Einführung des Grundeinkommens schon bald eine Sogkraft entwickeln könne, die die Verbreitung dieser Idee in benachbarte Länder allein auf der Basis der wirtschaftlichen Konkurrenzbedingungen vorantreibt.
Noch sei das bedingungslose Grundeinkommen kein ausgefeiltes Modell, sondern nur eine „Idee“, betonte Presse. Zwar hätten schon einige Politiker diesen Gedanken formuliert, doch müsse er zunächst noch in der breiten Bevölkerung verankert werden, bevor er umgesetzt werden könne. Ideal wäre nach Auffassung von Prof. Götz Werner, der das Institut für Entrepreneurship in Karlsruhe leitet, wenn das bedingungslose Grundeinkommen irgendwann im gesellschaftlichen Konsens durchgesetzt würde. Dafür bedürfte es nach Presses Einschätzung aber noch vieler weiterer gesellschaftlicher Debatten. Von Veranstaltungen wie der im Hörsaalgebäude könne ein Schneeball-Effekt ausgehen: Je mehr Menschen über das bedingungslose Grundeinkommen nachdenken und darüber sprechen, desto wahrscheinlicher wird seine Verwirklichung.
Franz-Josef Hanke
Pingback: Demut tut gut: Wir schaffen auch das | Franz-Josef Hanke
Pingback: pm 11/20: Krisenfest in die Zukunft – HU Marburg für BGE – Humanistische Union Marburg
Pingback: Alle auf einem Niveau: HU Marburg für Bedingungsloses Grundeinkommen – marburg.news