Armut macht krank. Das ist eine altbekannte Tatsache. Armut erschwert aber auch die Heilung. Das jedenfalls beschreibt Sybille Herbert in ihrem neuen Buch „Diagnose unbezahlbar – die Praxis der Zwei-Klassen-Gesellschaft“.
Für ihre im Verlag Kiepenheuer und Witsch erschienene Dokumentation hat die Journalistin drei Ärzte und den Regional-Geschäftsführer einer Krankenkasse aufgesucht. Sie beschreibt den Alltag der Medizin anhand konkreter Erlebnisse. Ihre daraus gewonnenen Schlussfolgerungen bestätigt auch eine jüngst veröffentlichte Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK.
Aufgrund eines früheren Unfalls benötigt eine Patientin unbedingt eine Lymph-Drainage. Die Behandlung ist medizinisch geboten und für diese Frau auch wirtschaftlich. Doch muss die Ärztin rechnen, ob sie selbst sich diese Behandlung leisten kann.
Für jeden Patienten stehen in ihrem Budget ein Betrag von 6,10 Euro pro Quartal zur Verfügung. Die Lymph-Drainage allein kostet in diesem Zeitraum aber schon 400 Euro. Die Ärztin müsste also 80 anderen Patienten jegliche Verschreibung verweigern, um der einen Patientin die notwendige Therapie zu gewähren.
Wartezeiten müssen vor allem Kassen-Patienten auf sich nehmen. Privat-Patienten hingegen kommen wesentlich schneller an die Reihe. Auch die Arzthelferin aus einer anderen Praxis erhielt ihren Termin unter Umgehung der Warteliste.
„Monetik statt Ethik“ bestimmt nach Einschätzung der Autorin die Medizin in Deutschland. Sie hat fünf verschiedene Klassen ausgemacht, die sehr unterschiedliche Heilungs-Erwartungen haben:
Ärzte und ihre Angehörigen werden optimal versorgt. An zweiter Stelle rangieren „echte“ Privat-Patienten, denen keine Beihilfe irgendwelche Behandlungs-Kosten streicht. Auf Platz 3 der Hitliste Herberts rangieren Patienten, die sich engagieren und ihre Behandlung kompetent einfordern. Die vorletzte Stelle in der Hierarchie weist die Journalistin denjenigen Privat-Patienten zu, die von Zuzahlungen der Beihilfe abhängig sind. Am schlechtesten schließlich werden „einfache“ Kassen-Patienten behandelt.
An diesen Strukturen ändere auch die neuerliche „Gesundheits-Reform“ wenig. Vielmehr hätten die Privat-Kassen ihre Interessen dabei voll durchgesetzt. Zwar müssten sie künftig einen Basis-Tarif anbieten, damit verarmte Freiberufler in der Privaten Krankenversicherung bleiben können, doch behielten die Privat-Kassen ansonsten alle ihre bisherigen Privilegien.
Die Politiker seien nicht bereit, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken über die Situation des Gesundheitswesens, beklagte Herbert. Sie forderte Ehrlichkeit bei der Debatte um die künftige Finanzierung der Krankenversorgung ein. Ihrer Meinung nach ist das Problem nur lösbar, wenn auch die 10 Prozent der privat Versicherten in die solidarische Finanzierung der Krankheits-Kosten mit einbezogen werden.
Franz-Josef Hanke