Hessen hinten – auch bei der Kritik – CDU geisselt AStA-Veranstaltungsreihe „Hessen hinten!“

Getroffene Hunde bellen laut. Diese alte Volks-Weisheit hat sich am Donnerstag (2. November) wieder einmal bewahrheitet. In einer Presseerklärung drückten die CDU-Kommunalpolitiker Torben Michael Theis und Oliver Pohland ihren Ärger über eine Veranstaltungsreihe des Allgemeinen Studierenden-Ausschusses (AStA) aus. Unter dem Titel „Hessen hinten“ kritisiert das AStA-Referat „Kritische Wissenschaft“ darin die Politik der CDU in sieben Jahren als hessische Landesregierung.
Kritik an der Regierung ist das allererste Privileg jeder Bürgerin und jedes Bürgers in einem demokratischen Staat. Hat eine Regierung Stil und Größe, dann hört sie sich diese Kritik wohlwollend an und versucht, berechtigte Punkte aufzugreifen und durch eigenes Handeln zu entkräften. Doch die CDU-Landesregierung unter dem Ministerpräsidenten Roland Koch scheint Kritik überhaupt nicht vertragen zu können.
Anders jedenfalls lässt sich Pohlands geschmack- und geschichtsloser Vergleich der AStA-Veranstaltungsreihe mit DDR-Geschichtsbüchern vor 1989 nicht erklären. Die zitierten Geschichtsbücher haben damals die systematische Rechtfertigung eines unterdrückerischen Regimes mit Hilfe geschichtsklitternder Fakten-Verdrehung betrieben. Hinter der Veranstaltungsreihe „Hessen hinten“ hingegen steht keine Regierung, sondern allein die gewählte Vertretung der Marburger Studentinnen und Studenten.
Die Kritik an der Kritik hingegen will eine Regierung in Schutz nehmen. Das tut sie in übersteigerter und erregter Form. Fast möchte man meinen, die CDU sehe schon mehr als ein Jahr vor der Landtagswahl ihre Felle davonschwimmen.
Eine Regierung muss sich im demokratischen Staat der Kritik stellen. Sie muss sich damit auseinandersetzen. In jedem Fall muss sie sich Kritik gefallen lassen, ohne die Kritiker in irgendeiner Weise zu sanktionieren oder zu diffamieren. Anderes wäre ein Rückfall in den vordemokratischen Obrigkeits-Staat.
Die Freiheit zur Kritik ist ein wesentliches Element jeder funktionierenden Demokratie. Theis und Pohland brauchen hier offenbar noch Nachhilfe. Sie haben Demokratie anscheinend noch nicht verstanden. Hier hinken sie der gesellschaftlichen Entwicklung gleich um Jahrzehnte hinterher.
Das ist umso trauriger, als beide im Kreistag Marburg-Biedenkopf sitzen. Pohland fungiert sogar als Geschäftsführer der CDU Marburg-Biedenkopf.
Mit ihrer Presseerklärung haben sich die beiden Nachwuchs-Politiker selbst einen Bärendienst erwiesen: Sie haben darin eine Haltung zur Demokratie offenbart, die sie selbst zur Zielscheibe berechtigter Kritik macht. Mit ihrer Kritik an der AStA-Veranstaltungsreihe haben sie zugleich zahlreiche Organisationen angegriffen, die daran beteiligt sind. Die Liste der von ihnen als „Falsch-Darsteller“ angeprangerten Organisationen reicht vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) über den Bund demokratischer Wissenschaftlerinnnen und Wissenschaftler (BdWi) und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bis hin zur Humanistischen Union (HU).
Viel Feind, viel Ehr! Diese antiquierte Vorstellung mag die beiden jungen „Christdemokraten“ bewogen haben, ohne Rücksicht auf Verluste einfach draufzuhauen. Und dabei sprechen ausgerechnet sie von den „ewig Gestrigen“!
Von keinem besonderen Stil zeugt auch die Tatsache, dass die beiden etwas kritisiert haben, was sie noch gar nicht kennen konnten. Zum Zeitpunkt ihrer Verlautbarung hatte die Veranstaltungsreihe noch gar nicht begonnen. Die erste Veranstaltung findet erst am Montag (6. November) um 19.30 Uhr im Kulturladen KFZ statt.
Das Verhalten der beiden selbsternannten Kritiker erfüllt absolut die wörtliche Bedeutung des Begriffs „Vorurteil“. Mit ihrer Presseerklärung haben die beiden den Titel der Veranstaltungsreihe in eindrucksvoller Weise bekräftigt: Beim Verständnis für demokratisches Verhalten ist Hessen wohl wirklich weit hinten!
Wenn solche übereilten Schläge die CDU-Politik prägen, dann kann man von ihr wirklich keine Qualität erwarten. Aber das wissen viele Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ja längst schon aus eigener leidvoller Erfahrung!
Warum wohl war die Reaktion der beiden Marburger CDU-Politiker so heftig? Erklären kann man das nur mit dem schlechten Gewissen der Regierungspartei angesichts ihrer sozial und bürgerrechtlich verheerenden Politik: Mit seiner „Operation sichere Zukunft“ und der Einführung von Studiengebühren ab dem ersten Semester wie auch mit Verschärfungen des Hessischen Polizeigesetzes offenbart Roland Koch, dass ihm das Wohl der Menschen in diesem Land nicht so wichtig ist wie seine Macht und das Geld. Schon seine erste Wahl zum Ministerpräsidenten hat er sich 1999 in einer populistischen Kampagne auf Kosten ausländischer Mitmenschen ergaunert.
„Hessen hinten“ ist die Umdrehung einer alten sozialdemokratischen Formel. Nach Gründung des Landes Hessen hatte die SPD den Leitspruch „Hessen vorn“ ausgegeben, um das Land voranzubringen. Doch vorne ist Hessen inzwischen leider nur mehr bei der Privatisierung öffentlicher Infrastruktur und beim Abbau bürgerlicher Rechte. Sollen Studenten, Erwerbslose oder Bürgerrechtler da etwa lauthals jubeln?
Wahrscheinlich aus Furcht vor ihrem berechtigten Zorn haben Theis und Pohland so hitzig reagiert. Im Grunde ihres Herzens schämen sie sich ja vielleicht für die Politik ihres Parteifürsten Koch. Also müssen sie sie vor sich selbst schön reden.
„Ich hab keine Ahnung, was Musik ist“, sang Georg Kreisler vor gut 40 Jahren in seinem Chanson „Der Musik-Kritiker“. Und er fuhr fort: „Aber ich weiß sehr gut, was Kritik ist: Je schlechter, desto mehr freun sich die Leut!“
Selbst Häme und beißender Spott sind in der Demokratie erlaubt und notwendig. Doch davon kann angesichts der Referenten-Liste von „Hessen hinten“ wirklich keine Rede sein.
Wovor also fürchten sich Theis und Pohland? Etwa vor der Wahrheit?

Franz-Josef Hanke

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