Eine schallende Ohrfeige hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt der Gießener Polizei und Justiz verpasst. In einem Beschluss von Montag (18. Juni) erklärten die obersten hessischen Zivilrichter den Unterbindungsgewahsam eines Aktivisten der Projektwerkstatt Saasen für rechtswidrig. Die Polizei habe diese Maßnahme beantragt, obwohl der Inhaftierte die ihm zur Last gelegten Straftaten nach ihren eigenen Dokumenten gar nicht begangen haben konnte! Der Haftrichter habe die Anschuldigungen überhaupt nicht nachgeprüft!
Scharfe Worte haben die Richter des 20. Zivilsenats in ihrem Beschluss (www.projektwerkstatt.de/weggesperrt/download/olg_beschluss.pdf) gefunden: Dieses Vorgehen grenze an „Verfolgung Unschuldiger“. Eine Inhaftierung ohne Prüfung der Anschuldigungen sei in einem Rechtsstaat nicht hinnehmbar: „Da das Instrument des Gewahrsams während der Nazi-Zeit äußerst massiv missbraucht wurde, sollte es durch die Tatbestandsmerkmale ‚unerlässlich‘ und ‚unmittelbar bevorstehend‘ rechtlich unmöglich gemacht werden, dass die Vorschrift zu einer Ermächtigung zum sogenannten Vorbeuge-Gewahrsam (früher: Schutzhaft) ausgeweitet wird.“
Dem inhaftierten Umwelt-Aktivisten hatte die Polizei vorgeworfen, er habe in der Nacht zum 14. Mai 2006 die Kanzlei des hessischen Innenministers Volker Bouffier in Gießen mit Parolen beschmiert und eine übelriechende Flüssigkeit in die CDU-Kreisgeschäftsstelle hineingeschüttet. Doch genau zu der Zeit, wo diese Straftaten nach Angaben der Polizei erfolgt sind, hatten Zivilbeamte den Beschuldigten anderswo beim Badminton-Spielen observiert.
Dem OLG Frankfurt konnten der Betroffene und sein Rechtsanwalt einen Vermerk der Polizei vorlegen, in dem die Observation minutengenau protokolliert worden war. Dieses unstrittige Dokument schloss eine Tatbeteiligung des Mannes bei den ihm vorgehaltenen Aktionen definitiv aus. Dennoch hatte die Polizei den Unterbindungsgewahrsam mit der Behauptung beantragt, der Betroffene habe diese Straftaten begangen und könne nur durch eine Inhaftierung von „weiteren Straftaten“ abgehalten werden.
Ohne jegliche Prüfung der Vorwürfe hatte ein Gießener Amtsrichter diesem Antrag stattgegeben. Auch eine Beschwerde beim Landgericht Gießen führte nicht zur Überprüfung dieser Vorwürfe. Beide male verschwieg die Polizei ihre Observationsaktion.
Der Unterbindungsgewahrsam war insgesamt rechtswidrig, erklärte der 20. Zivilsenat des OLG Frankfurt jetzt. Unterbindungsgewahrsam akzeptieren die Frankfurter Richter laut ihrem Beschluss nur dann, wenn er das einzige Mittel zur Verhinderung von Straftaten darstellt. Eine so stark in die Persönlichkeitsrechte eingreifende Maßnahme dürfe nicht ohne Not und schon gar nicht ohne Prüfung angeordnet werden, befanden sie.
Nach diesem Beschluss müssten folgerichtig die beteiligten Gießener Polizeibeamten wie auch der verantwortliche Gießener Richter wegen der Verfolgung Unschuldiger und wegen Freiheitsberaubung im Amt belangt werden. Geschieht das nicht, so müsste man der zuständigen Staatsanwaltschaft die Frage stellen, ob sie sich dann nicht möglicherweise selbst der Strafvereitelung im Amt schuldig macht.
Franz-Josef Hanke