Kahls Kreationismus-Kritik – Ist die Welt wirklich in sieben Tagen geschaffen worden?

Philosophische Überlegungen zu Kreationismus und „Intelligent Design“ hat Dr. Dr. Joachim Kahl am Dienstag (15. April) auf Einladung des HU-Ortsverbands Marburg im Kultur-Cafe „Diwan“ vorgestellt. Der Vortrag des promovierten Philosophen und Theologen trug den Titel „Ist die Welt in sieben Tagen entstanden?“

Neu sei der Anspruch christlich geprägter Wissenschaftskritiker nicht, die biblische Schöpfungsgeschichte den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zur Evolution entgegenzusetzen. Bereits 1925 stand der Lehrer John Thomas Scopes in Dayton beim sogenannten „monkey trial“ unter Anklage, weil er es gewagt hatte, seinen Schülern im Biologie-Unterricht Charles Darwins Evolutionstheorie nahezubringen. Nach den Gesetzen des US-Bundesstaats Tennessee war es ein Verbrechen, dass er die Abstammung des Menschen vom Affen als Tatsache dargestellt hatte.

Doch Kreationistische Vorstellungen feierten auch in jüngster zeit wieder fröhliche Urständ, berichtete Kahl. Er unterschied zwischen „Kreationismus“, der die biblische Schöpfungsgeschichte wortwörtlich für wahr erklären wolle, und Vorstellungen von einem „intelligent Design“, das hinter der Evolution einen intelligenten Schöpfer mit einer systematischen und gezielten Vorgehensweise ausmache. Sei der klassische Kreationismus eher in fundamental evangelikalen Kreisen verbreitet, so sei die Idee vom „intelligenten Schöpfer“ vornehmlich bei Katholiken sowie bei aufgeklärteren Christen beider Konfessionen zu finden.

Beide Auffassungen bewertete Kahl als neuerlichen Versuch eines Gottesbeweises. Dieses Ansinnen müsse aber scheitern, da der Beweis einer Existenz Gottes ebensowenig möglich sei wie der Beweis, dass es keinen Gott gibt.

Das leugneten die Vertreter derartiger Positionen jedoch. Sie forderten von der Wissenschaft klare Beweise für die Evolution ein. Derartige Beweise seien im Wesentlichen aber nur durch die Auswertung von Indizien zu liefern, da die Evolution so langsam vor sich gehe, dass die Menschen ihren Ablauf nicht beobachtend verfolgen könnten.

Eine dergestalt sinnliche Beobachtung der biblischen Schöpfungsgeschichte sei allerdings noch weniger möglich, erklärte Kahl. In detektivischer Fleißarbeit könne man jedoch Tausende von Belegen für den Ablauf der Evolution finden.

Ein weit verbreiteter Irrtum sei die Vorstellung, dass die Evolution völlig unplanmäßig vor sich gehe. Natürlich müsse auch sie Gesetzmäßigkeiten wie beispielsweise den Gesetzen der Physik folgen. Diese Aussage untermauerte der Referent mit einem Zitat des Philosophen Friedrich Nietzsche.

Hier zitierte Kahl auch einen Vergleich des Selektionsvorgangs mit einer Schrotflinte: Die Kugeln der Munition streuen absichtlich möglichst weit, damit der Schütze den Haken schlagenden Hasen beim Davonhoppeln eher treffen kann.

Eine besonders interessante Version von „Intelligent Design“ habe der Berliner Theologe Prof. Dr. Hans-Hinrich Jensen verbreitet. Er habe Gott einfach neben die Evolution gestellt, meinte Kahl. Nach Jensens Vorstellung habe Gott die Evolution „erfunden“, um sich selbst zu entlasten. Er müsse dann nicht immer selber die Fehler der Evolution korrigieren.

Als „Fehler der Evolution“ nannte Kahl beispielsweise die Nähe von Luft- und Speiseröhre im Rachen, die lebensbedrohliche Enge des Geburtskanals oder aber die Schlupf-Wespen, die ihre eigenen Wirtstiere von innen her auffressen. Auch Viren und Bakterien mochte er nicht unbedingt für intelligente Schöpfungen eines planenden Welten-Konstrukteurs halten.

Die häufig festzustellende Vehemenz der Auseinandersetzung über dieses Thema führte Kahldarauf zurück, dass es sich hierbei um „letzte Wahrheiten“ drehe, denen die Menschen hohe Bedeutung zumessen. Diese Aussage bewahrheitete sich bei der Veranstaltung in den Äußerungen eines Verfechters des „Intelligent Design“, auf dessen aggressive Kritik am Darwinismus andere Diskussionsteilnehmer dann aber ebenfalls aggressiv reagierten.

Nach Kahls Auffassung muss eine darwinistische Position aber beileibe nicht einer christlichen Grundhaltung widersprechen. Das habe schon 1950 Papst Pius XII. erkannt, der die Abstammung zumindest der „menschlichen Hülle“ vom Tier schon damals akzeptiert hatte.

Schließlich haben der orthodoxe Christ Theodosius Dobzhansky und der überzeugte Atheist Ernst Mayr die Darwinschen Überlegungen zur sogenannten „synthetischen Evolutionstheorie“ weiterentwickelt. Dabei bezogen sie neuere Erkenntnisse der Genetik und anderer Wissenschaften mit ein. Beide befruchteten einander, ohne ihre gegensätzlichen religiösen Überzeugungen dabei aufzugeben, berichtete Kahl.

Als „Krone der Schöpfung“ wollte Kahl den Menschen nicht bezeichnen. Seine – anhand zweier Gedichte von Hans-Magnus Enzensberger vorgestellte – Sicht auf den Menschen als ein ganz „besonderes“ Resultat derEvolution wollten mehrere Anwesende so jedoch nicht teilen. Dass allein der Mensch andere Lebewesen domestiziere und dass allein er sprechen und selbständig denken könne, widerlegten Anwesende durch Beispiele von Ameisen, Affen und Blindenhunden.

Als problematisch betrachtete der Psychologe Prof. Dr. Hans Schauer die übermäßige „Cerebralisierung“ des Menschen. Sie verschaffe ihm zwar Fähigkeiten, über die kein anderes Lebewesen verfüge. Gleichzeitig befähige sie ihn jedoch auch zu Auswüchsen bis hin zur Hirnrissigkeit.

Nach knapp zweieinhalbstündiger lebhafter Debatte trennten sich die Teilnehmer des Diskussionsabends schließlich mit der Erkenntnis, dass es in dieser Frage offenbar keine allerletzte allgemeingültige Wahrheit zu geben scheint. Sicherlich hätten einige aber gerne noch stundenlang weiter diskutiert.

Franz-Josef Hanke

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