„Was damals recht war“ lautet der Titel einer Ausstellung über die Wehrstrafjustiz im Nationalsozialismus. Der ehemalige SPD-Bundesvorsitzende Hans-Jochen Vogel hat die historische Rückschau am Sonntag (25. Oktober) im Historischen Saal des Marburger Rathauses feierlich eröffnet.
Eine einzige Gegenüberstellung belegt schon sehr anschaulich die Brutalität und Menschenverachtung der Nazi-Richter im Zweiten Weltkrieg: Verhängten Militärgerichte im Ersten Weltkrieg insgesamt 48 Todesurteile, so waren es während des Zweiten Weltkriegs mehr als 19.000 Todesurteile!
Anhand von Beispielfällen Verurteilter wie auch der Lebensläufe von Richtern zeichnet die Präsentation ein eindringliches Bild dieser Unrechts-Justiz. Dabei haben Mitarbeiter der Marburger Geschichtswerkstatt der Ausstellung auch lokale Beispiele angefügt, wenngleich auch in der bundesweiten Präsentation wegen der Beteiligung von Marburger Mitarbeitern ebenfalls schon Fälle aus Marburg dargestellt werden.
Von bundesweiter Bedeutung in diesem Zusammenhang ist marburg auch wegen der Person Erich Schwinge. Der ehemalige Nazi-Militärrichter und Verfasser des einzigen Kommentars zur Wehrstrafgesetzgebung konnte nach Kriegsende ungehindert an der Philipps-Universität lehren und junge Menschen ausbilden.
An diesen zweifelhaften Professor erinnerte sich auch Festredner Jochen Vogel. Von 1946 bis 1948 hatte er in Marburg Jura studiert.
Über die Vergangenheit seines Lehrers Schwinge seien damals allenfalls Gerüchte zirkuliert, berichtete er. Laut gesprochen habe darüber aber niemand.
Es sei beschämend, dass die letzten Unrechtsurteile erst im Jahr 2007 vom Deutschen Bundestag aufgehoben wurden, erklärte Vogel. Endlich hätten die Opfer dieser ungerechten Justiz späte Genugtuung erfahren. Für viele sei dieser Schritt aber zu spät gekommen.
Auch er selbst müsse in diesem Punkt über eigene Versäumnisse nachdenken, war er doch von 1974 bis 1981 Bundesminister der Justiz. Allerdings sei es seinerzeit schon schwierig genug gewesen, die Verjährung von Mord und Völkermord durch einen Mehrheitsbeschluss des Bundestags aufzuheben.
Geprägt habe ihn aber die Erfahrung des Kriegs und die Überzeugung, dass so etwas wie die Nazi-Diktatur „nie wieder“ geschehen dürfe. Diese Einstellung solle die Ausstellung auch an die Nachgeborenen vermitteln.
Vor ihrer Präsentation in Marburg war sie zuletzt in der österreichischen Hauptstadt Wien gezeigt worden. Dort habe sie dazu geführt, dass auch das österreichische Parlament die Urteile der Wehrstrafjustiz nachträglich für rechtswidrig erklärt und aufgehoben habe.
Eine solche Wirkung einer Ausstellung sei etwas ganz Besonderes, meinte Vogel. Angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse in Österreich sei das sogar besonders hoch einzuschätzen.
„Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“ Mit diesem Spruch hatte der ehemalige Marinerichter und spätere baden-württembergische Ministerpräsident Hans-Karl Filbinger 1977 seine Vergangenheit zu verteidigen versucht.
In einer eindringlichen und eindrucksvollen Rede erläuterte Ludwig Baumann als Opfer des Nazi-Unrechts die Notwendigkeit, die damalige Militärjustiz auch heute noch anzuprangern. Immer wieder sei ihm und anderen Deserteuren eine Rehabilitierung mit dem Argument verweigert worden, dass dadurch auch Soldaten der Bundeswehr zur Fahnenflucht ermutigt werden könnten.
Scharf griff Baumann diese Begründung an. Ebenso scharf verurteilte der ehemalige Deserteur den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan: Sicherlich würden die Menschen in Deutschland es nicht hinnehmen, wenn nicht Deutschland am Hindukusch, sondern irgendwelche Interessen afghanischer Warlords am Rhein verteidigt würden.
Die Ausstellung im Rathaus und der „Schirn“ in dessen Untergeschoss ist bis Sonntag (22. November) geöffnet. Besondere Brisanz gewinnt der Ausstellungsort durch die Tatsache, dass die drei Gefängniszellen in der Schirn während des Zweiten Weltkriegs zur Inhaftierung von Verurteilten der Wehrstrafjustiz dienten. Damit findet die Ausstellung tatsächlich an einem Original-Schauplatz statt.
Franz-Josef Hanke