Die Hauptverhandlung gegen das NSU-Mitglied, Frau Beate Zschäpe sowie vier weitere Mitangeklagte sollte am 17.04.2013 ab 10.00 Uhr vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichtes München beginnen. Vorsitzender Richter wird Herr Richter am Oberlandesgericht Manfred Götzl sein.
Als Örtlichkeit für die Durchführung der Hauptverhandlung wählte die Münchener Justizverwaltung den Schwurgerichtssaal A 101 im Strafjustizzentrum München aus. Nach den bisherigen Erkenntnissen bietet dieser Sitzungssaal insgesamt 230 Plätze. Diese Plätze stehen zunächst 71 Nebenklägerinnen und Nebenklägern sowie ihren insgesamt 49 Anwältinnen bzw. Anwälten zur Verfügung. Die Vertreter der Medien erhalten 50 reservierte Plätze. 50 weitere Plätze sind für Zuschauer reserviert. Soweit dies bekannt ist, haben sich 123 Medien, freie Journalistinnen und Journalisten beim Gericht akkreditieren lassen. Akkreditierte türkische Medien haben keinen garantierten Platz im Sitzungssaal (Quelle: http://www.muenchen.de/themen/nsu-prozess.html).
Die Hauptverhandlung wird nicht in einen anderen Sitzungssaal des Gerichts simultan in Wort und/oder Bild übertragen. Der Präsident des Oberlandesgerichtes München, Herr Huber beruft sich darauf, dass nach dem Gerichtsverfassungsgesetz Ton- und Videoaufnahmen zum Zweck einer öffentlichen Vorführung verboten seien (§ 169 Satz 2 GVG). Ob die genannte Bestimmung einer simultanen Übertragung in einen anderen Gerichtssaal entgegensteht, ist juristisch umstritten und zweifelhaft.
Das öffentliche Interesse an dem Verfahren über den „Nationalsozialistischen Untergrund“ ist groß. Vorläufig setzte der Vorsitzende des 6. Strafsenates des Oberlandesgerichtes München 85 Hauptverhandlungstage an. Ob das öffentliche Interesse mit zunehmender Dauer des Verfahrens abnehmen wird, lässt sich derzeit noch nicht absehen.
Jedenfalls für den Prozessbeginn lässt sich sagen, dass der gewählte Sitzungssaal viel zu klein ist, um dem öffentlichen Interesse Rechnung zu tragen. Obwohl jeder Bürger das Recht hat, dem Verfahren beizuwohnen, werden den interessierten Bürgerinnen und Bürgern viel zu wenig Plätze zur Verfügung gestellt. Entsprechendes gilt für die Medienvertreterinnen und Medienvertreter aus dem In- und Ausland.
Die Justizverwaltung in München hält ihr Vorgehen für rechtmäßig. Sie meint, die Verteilung der knappen Ressourcen nach dem Prioritätsprinzip werde dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung gerecht.
Es ist sicherlich keine Übertreibung, davon auszugehen, dass es sich bei dem am 17.04.2013 beginnenden NSU-Prozess um ein politisches Strafverfahren handelt. Ein solches Verfahren wirft stets eine Vielzahl von Fragen auf. Welche Interessen werden mit dem Prozess vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichtes München verfolgt? Welche Interessen verfolgt die Generalstaatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht München? Welche Verknüpfungen bestehen zwischen der Generalstaatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht München und den Strafverfolgungsbehörden? Welchem administrativen Druck sind die Münchener Strafverfolgungsbehörden durch andere an dem Verfahren beteiligte Institutionen ausgesetzt? Welche Interessen vertreten z. B. die Länderpolizeibehörden, die Bundespolizeibehörden und die Vertreter der bundesdeutschen Verfassungsschutzämter in diesem Verfahren? Können sich die Münchener Strafverfolgungsbehörden, insbesondere der 6. Strafsenat des Oberlandesgericht München ausschließlich auf Vertuschung ausgerichteten Einflussnahmen entziehen? Welchem Lager fühlen sich die Richter bzw. Richterinnen des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichtes München zugehörig? Kann davon ausgegangen werden, dass der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichtes München sich vor allem den Interessen der NSU-Opfer verpflichtet fühlt? Darf davon ausgegangen werden, dass der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichtes München als Institution der politischen Strafjustiz daran interessiert ist, möglichst effektiv, öffentlich kontrolliert zu werden?
Der Katalog der sich aufdrängenden Fragen könnte beliebig erweitert werden.
Nachfolgend soll lediglich der Frage nachgegangen werden, ob die deutsche Justiz, insbesondere die deutsche Strafjustiz ein – ggf. gesteigertes – Interesse daran haben könnte, sich einer effektiven öffentlichen Kontrolle zu unterziehen.
Die „Öffentlichkeit“ des Verfahrens ist ein Menschenrecht (Art. 6 I 1 EMRK). Dementsprechend garantiert das Gerichtsverfassungsgesetz, dass die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse „öffentlich“ ist (§ 169 Satz 1 GVG). Die „Öffentlichkeit“ des Verfahrens soll Bürgerinnen und Bürger vor einer Geheimjustiz, die sich öffentlicher Kontrolle entzieht, schützen. Das hat nachvollziehbare historische Hintergründe.
In der Zeit von 1933 bis 1945 war die Öffentlichkeit von Strafprozessen nicht garantiert. Öffentlich geführte Schauprozesse dienten nicht etwa dem Zweck, einer effektiven Kontrolle der Strafjustiz, sondern der Verfolgung regimetreuer, menschen- und rechtsfeindlicher Ziele.
Es könnte nun die These aufgestellt werden, dass sich daran nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949 maßgeblich etwas geändert haben könnte. Ist es jedoch wirklich so, dass sich die bundesdeutsche Justiz nach Inkrafttreten des Grundgesetzes mit Begeisterung einer effektiven öffentlichen Kontrolle unterzog?
Wer solchen Thesen folgt und die letzte Frage kritiklos bejaht, könnte sich auf einem Irrweg befinden. Die Nachkriegsjustiz der Bundesrepublik Deutschland war bekanntlich durchsetzt mit Juristinnen, aber vorwiegend Juristen, die dem Hitler-Faschismus in der Zeit von 1933 bis 1945 treue bis treueste Dienste leisteten. Es gehört schon eine gehörige Portion Naivität dazu, dass sich solche, furchtbaren Juristen auf dem Hintergrund einer tatsächlich nicht durchgeführten Entnazifizierung der Justiz nach Inkrafttreten des Grundgesetzes dazu bereit gefunden haben könnten, öffentlich effektiv kontrolliert zu werden.
Einige Anhaltspunkte sprechen vielmehr dafür, dass der westdeutsche Gesetzgeber im Gleichschritt mit einer einflussreichen, aber stark belasteten Justiz die effektive öffentliche Kontrolle (straf-) gerichtlicher Verfahren mit unterschiedlichen Mitteln bewusst stark einschränkte. Da geht es wohl vor allem darum, nach außen hin den rechtsstaatlichen Schein zu wahren.
Alle Maßnahmen, die in den letzten Jahrzehnten in diese Richtung hin getroffen worden sind, dienten vorrangig dem Zweck, eine kritische Berichterstattung über das Treiben der bundesdeutschen Justiz zu unterbinden. Das konnte und kann u.a. erfolgreich dadurch bewerkstelligt werden, dass in Verfahren mit besonderem öffentlichen Interesse viel zu kleine Verhandlungssäle ausgewählt werden.
Phantasiereich war das Vorgehen der (Straf-)Justiz, wenn es darum ging, die Ton- und Filmberichterstattung auch außerhalb der Hauptverhandlung zu behindern oder gar gänzlich zu vereiteln. Zum Teil peinliche Akkreditierungsregeln gehören zu dieser Spielart, wobei andererseits die sich gerade zu anbiedernde, „vertrauensvolle“ Zusammenarbeit der Justiz mit der unkritischen Journaille und den Mainstreammedien einschließlich der gezielten Behinderung einer kritischen Berichterstattung nicht unerwähnt bleiben dürfen.
Um Zuschauer gelegentlich politisch brisanter Prozesse davon abzuhalten, an Verhandlungen teilzunehmen, sind strenge Eingangskontrollen eingeführt worden. Die Ausweise der Zuschauerinnen und Zuschauer werden kontrolliert. Eine Speicherung und Weiterverarbeitung der so erlangten Daten kann nicht kontrolliert werden.
Abschreckende Wirkung soll zudem die permanente Videoüberwachung des Eingangsbereichs von Gerichtsgebäuden haben. Darin wird von einem Teil der Rechtsprechung ebenfalls keine Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit gesehen.
Um eine Kontrolle der Arbeit der Strafjustiz zu erschweren, wird Zuschauerinnen und Zuschauern sowie Pressevertreterinnen und Pressevertretern die Benutzung von Laptops und Notebooks im Sitzungssaal, in dem eine Hauptverhandlung stattfindet, verboten. Dies geschah Jahr 2008 sogar mit dem Segen des Bundesverfassungsgerichtes.
Die Intention, sich einer effektiven, öffentlichen Kontrolle zu entziehen, kommt ebenfalls durch die in der Strafprozessordnung enthaltenen Protokollierungsvorschriften zum Ausdruck. Der deutsche Strafprozess kennt kein Wortprotokoll. In Verfahren, die eine minderschwere Bedeutung haben und vor den Amtsgerichten stattfinden, reicht in der Regel eine Protokollierung der „wesentlichen Ergebnisse“ der Aussagen von Zeugen und Sachverständigen (§ 273 II 1 StPO). Von einer wörtlichen Wiedergabe von Aussagen in der Hauptverhandlung wird abgesehen. Erst recht gilt das für die schwerwiegenderen Verfahren, die vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten stattfinden. In diesem Verfahren werden z. B. die Angaben Zeugen von Sachverständigen überhaupt nicht wörtlich protokolliert, also nicht einmal die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen festgehalten.
Es braucht nicht viel Phantasie, um darauf zu kommen, warum der Gesetzgeber und die Gerichte gerade in solchen Verfahren besonderen Wert darauf legen, dass es nicht zu einer wortgetreuen Aufzeichnung der Geschehnisse während der Hauptverhandlung kommt. Solche Aufzeichnungen könnte nämlich die Überprüfung ermöglichen, ob die Feststellungen zum Sachverhalt in einem nachfolgenden schriftlichen Urteil von dem abweichen, was sich in der Hauptverhandlung ereignete. Auf diesem Hintergrund ist es keineswegs ein Scherz, dass deutsche Strafgerichte nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes auf die Idee kamen, es der Verteidigung zu untersagen, die eigene Sekretärin damit zu beauftragen, alles, was in der Hauptverhandlung gesagt wird, mit zu stenographieren. Solche Maßnehmen dienen den gleichen Zielsetzungen.
Dem Zweck der effektiven Verhinderung einer – zumindest partei-öffentlichen Kontrolle – dient vor allem der vom Bundesgerichtshof erfundene Grundsatz des Verbots der Rekonstruktion der Hauptverhandlung. Dieser besagt nämlich nichts anderes, als dass Strafrichter in ihren Urteilen den Inhalt von Zeugenaussagen so wiedergeben können, dass dies sogar eindeutig den Angaben der Zeugen in der Hauptverhandlung widerspricht. Eine revisionsrechtliche Überprüfung solcher Manipulationen am Faktum sind wegen des Verbots der Rekonstruktion der Hauptverhandlung – derzeit – ausgeschlossen, womit das Gebot der Rechtsstaatlichkeit verhöhnt wird.
(siehe dazu Döhmer, Rekonstruktion der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren, SVR 2009, 47 ff, http://www.kanzlei-doehmer.de/Rekonstruktion_der_HV.pdf)
Auf dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen muss das Vorgehen des Präsidenten des Oberlandesgerichtes München und des Vorsitzenden des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichtes München gewertet werden. Der bundesdeutsche Staat, zu dem auch die Münchener Justiz gehört, hat kein gesteigertes Interesse daran, die Hintergründe der vielfältigen staatlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ aufzuklären. Gerade dies aber müsste in dem Verfahren gegen die Angeklagte Frau Zschäpe und ihre Mitstreiter nicht nur aus rechtsstaatlichen Gründen geschehen.
Anhang – Rechtsprechungsübersicht (Quelle: Döhmer, Auszug aus Lexikon des Strafrechts – http://www.kanzlei-doehmer.de/Oeffentliche_Kontrolle.pdf)