Öffentliche Kontrolle des NSU-Prozesses? – Nebenschauplätze zerknittern den Blick auf das Wesentliche.

Der NSU-Prozess wirft seine dunklen Schatten voraus. Das Akkreditierungsverfahren und die Vergabe fester Sitzplätze für Medienvertreter hatte schon eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit Weisungen an den 6 Strafsenat des Oberlandesgerichts München zur Folge (http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20130412_1bvr099013.html). Diese wiederum führten zunächst einmal zum – hausgemachten – Platzen des ersten Hauptverhandlungstages mit sehr belastenden Folgen für die NebenklägerInnen und die Opferfamilien. Die Nebenschauplätze zerknittern den Blick auf die in der Hauptsache aufzuklärenden Fälle. Viel Öffentlichkeit allein bedeutet aber noch keine effektive öffentliche Kontrolle des NSU-Verfahrens. Wie es um sie bestellt?

Die Hauptverhandlung gegen das NSU-Mitglied, Frau Beate Zschäpe sowie vier weitere Mitange­klagte sollte am 17.04.2013 ab 10.00 Uhr vor dem 6. Strafsenat des Oberlan­desgerichtes München beginnen. Vorsitzender Richter wird Herr Richter am Oberlan­desgericht Manfred Götzl sein.

Als Örtlichkeit für die Durchführung der Hauptverhandlung wählte die Münchener Justiz­verwaltung den Schwurgerichtssaal A 101 im Strafjustizzentrum München aus. Nach den bisherigen Erkenntnissen bietet dieser Sitzungssaal insgesamt 230 Plätze. Diese Plätze ste­hen zunächst 71 Nebenklägerinnen und Nebenklägern sowie ihren insgesamt 49 Anwältinnen bzw. Anwälten zur Ver­fügung. Die Vertreter der Medien erhalten 50 reservierte Plät­ze. 50 weitere Plätze sind für Zuschauer reserviert. Soweit dies bekannt ist, haben sich 123 Medien, freie Journalistinnen und Journalisten beim Gericht akkredi­tieren lassen. Akkreditierte türkische Medien haben keinen garantier­ten Platz im Sitzungs­saal (Quelle: http://www.muenchen.de/themen/nsu-pro­zess.html).

Die Hauptverhandlung wird nicht in einen anderen Sitzungssaal des Gerichts simul­tan in Wort und/oder Bild übertragen. Der Präsident des Oberlandesgerichtes Mün­chen, Herr Hu­ber beruft sich darauf, dass nach dem Gerichtsverfassungsgesetz Ton- und Videoaufnahmen zum Zweck einer öffentlichen Vorführung verboten seien (§ 169 Satz 2 GVG). Ob die genannte Bestimmung einer simultanen Übertragung in einen anderen Gerichtssaal entgegensteht, ist juristisch umstritten und zweifelhaft.

Das öffentliche Interesse an dem Verfahren über den „Nationalsozialistischen Unter­grund“ ist groß. Vorläufig setzte der Vorsitzende des 6. Strafsenates des Oberlandes­gerichtes Mün­chen 85 Hauptverhandlungstage an. Ob das öffentliche Interesse mit zu­nehmender Dauer des Verfahrens abnehmen wird, lässt sich derzeit noch nicht ab­sehen.

Jedenfalls für den Prozessbeginn lässt sich sagen, dass der gewählte Sitzungssaal viel zu klein ist, um dem öffentlichen Interesse Rechnung zu tragen. Obwohl jeder Bürger das Recht hat, dem Verfahren beizuwohnen, werden den interessierten Bürgerinnen und Bürgern viel zu wenig Plätze zur Verfügung gestellt. Entsprechendes gilt für die Medienvertreterinnen und Medienvertreter aus dem In- und Ausland.

Die Justizverwaltung in München hält ihr Vorgehen für rechtmäßig. Sie meint, die Vertei­lung der knappen Ressourcen nach dem Prioritätsprinzip werde dem Grundsatz der Öffent­lichkeit der Hauptverhandlung gerecht.

Es ist sicherlich keine Übertreibung, davon auszugehen, dass es sich bei dem am 17.04.2013 beginnenden NSU-Prozess um ein politisches Strafverfahren handelt. Ein solches Verfahren wirft stets eine Vielzahl von Fragen auf. Welche Interessen werden mit dem Prozess vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesge­richtes München verfolgt? Welche Interessen verfolgt die Generalstaatsanwaltschaft bei dem Ober­landesgericht München? Welche Verknüpfungen bestehen zwischen der Generalstaatsan­waltschaft beim Oberlandesgericht München und den Strafverfolgungsbehörden? Welchem ad­ministrativen Druck sind die Münchener Strafverfolgungsbehörden durch andere an dem Verfahren beteiligte Institutionen ausgesetzt? Welche Interessen vertreten z. B. die Länder­polizeibehörden, die Bundespolizeibehörden und die Vertreter der bundes­deutschen Verfas­sungsschutzämter in diesem Verfahren? Können sich die Münchener Strafverfolgungsbehör­den, insbesondere der 6. Strafsenat des Oberlandesgericht München ausschließlich auf Vertuschung ausgerichteten Einflussnahmen entziehen? Welchem Lager fühlen sich die Richter bzw. Richterinnen des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichtes München zugehörig? Kann davon ausgegangen werden, dass der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichtes München sich vor allem den Interessen der NSU-Opfer verpflichtet fühlt? Darf davon ausgegangen werden, dass der 6. Strafse­nat des Oberlandesgerich­tes München als Institution der politischen Strafjustiz daran interessiert ist, möglichst effek­tiv, öffentlich kontrolliert zu werden?

Der Katalog der sich aufdrängenden Fragen könnte beliebig erweitert werden.

Nachfolgend soll lediglich der Frage nachgegangen werden, ob die deutsche Justiz, insbe­sondere die deutsche Strafjustiz ein – ggf. gesteigertes – Interesse daran haben könnte, sich einer effektiven öffentlichen Kontrolle zu unterziehen.

Die „Öffentlichkeit“ des Verfahrens ist ein Menschenrecht (Art. 6 I 1 EMRK). Dement­sprechend garantiert das Gerichtsverfassungsgesetz, dass die Verhandlung vor dem erken­nenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Be­schlüsse „öffentlich“ ist (§ 169 Satz 1 GVG). Die „Öffentlichkeit“ des Verfahrens soll Bürgerinnen und Bürger vor einer Geheimjustiz, die sich öffentlicher Kontrolle entzieht, schützen. Das hat nachvollziehbare historische Hintergründe.

In der Zeit von 1933 bis 1945 war die Öffentlichkeit von Strafprozessen nicht garan­tiert. Öf­fentlich geführte Schauprozesse dienten nicht etwa dem Zweck, einer effekti­ven Kontrolle der Strafjustiz, sondern der Verfolgung regimetreuer, menschen- und rechtsfeindlicher Ziele.

Es könnte nun die These aufgestellt werden, dass sich daran nach dem Inkrafttreten des Grundge­setzes im Jahr 1949 maßgeblich etwas geändert haben könnte. Ist es je­doch wirklich so, dass sich die bun­desdeutsche Justiz nach Inkrafttreten des Grund­gesetzes mit Begeiste­rung einer effektiven öffentlichen Kontrolle unterzog?

Wer solchen Thesen folgt und die letzte Frage kritiklos bejaht, könnte sich auf einem Irrweg befinden. Die Nachkriegsjustiz der Bundesrepublik Deutschland war bekannt­lich durchsetzt mit Juristinnen, aber vorwiegend Juristen, die dem Hitler-Faschismus in der Zeit von 1933 bis 1945 treue bis treueste Dienste leisteten. Es gehört schon eine gehörige Portion Naivität dazu, dass sich solche, furchtbaren Juristen auf dem Hintergrund einer tatsächlich nicht durchgeführten Entnazifizie­rung der Justiz nach Inkrafttreten des Grundgesetzes dazu bereit gefunden haben könnten, öffentlich ef­fektiv kontrolliert zu werden.

Einige Anhaltspunkte sprechen vielmehr dafür, dass der westdeutsche Ge­setzgeber im Gleichschritt mit einer einflussreichen, aber stark belasteten Justiz die ef­fektive öffentliche Kon­trolle (straf-) gerichtlicher Verfahren mit unterschiedlichen Mitteln bewusst stark einschränkte. Da geht es wohl vor allem darum, nach außen hin den rechtsstaatlichen Schein zu wahren.

Alle Maßnahmen, die in den letzten Jahrzehnten in diese Richtung hin getroffen wor­den sind, dienten vorrangig dem Zweck, eine kritische Berichterstattung über das Treiben der bundesdeutschen Justiz zu unterbinden. Das konnte und kann u.a. erfolg­reich da­durch bewerkstelligt wer­den, dass in Verfahren mit besonderem öffentlichen Inter­esse viel zu kleine Ver­handlungssäle ausgewählt werden.

Phantasiereich war das Vorgehen der (Straf-)Justiz, wenn es darum ging, die Ton- und Filmbe­richterstattung auch außerhalb der Hauptverhandlung zu behindern oder gar gänzlich zu vereiteln. Zum Teil peinliche Akkreditierungsregeln gehören zu dieser Spielart, wobei andererseits die sich gerade zu anbiedernde, „vertrauensvolle“ Zu­sammenarbeit der Justiz mit der unkritischen Journaille und den Mainstreammedien einschließlich der gezielten Behinde­rung einer kritischen Berichterstattung nicht un­erwähnt bleiben dürfen.

Um Zuschauer gelegentlich politisch brisanter Prozesse davon abzuhalten, an Ver­handlungen teilzunehmen, sind strenge Eingangskontrollen eingeführt worden. Die Ausweise der Zuschauerinnen und Zuschauer werden kontrolliert. Eine Speicherung und Weiterverarbei­tung der so erlangten Daten kann nicht kontrolliert werden.

Abschreckende Wirkung soll zudem die permanente Videoüberwachung des Ein­gangsbereichs von Gerichtsgebäuden haben. Darin wird von einem Teil der Recht­sprechung ebenfalls kei­ne Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit gesehen.

Um eine Kontrolle der Arbeit der Strafjustiz zu erschweren, wird Zuschauerinnen und Zuschauern sowie Pressevertreterinnen und Pressever­tretern die Benutzung von Laptops und Notebooks im Sitzungssaal, in dem eine Hauptver­handlung stattfindet, verboten. Dies geschah Jahr 2008 sogar mit dem Segen des Bundesverfassungsge­richtes.

Die Intention, sich einer effektiven, öffentlichen Kontrolle zu entziehen, kommt ebenfalls durch die in der Strafprozessordnung enthaltenen Protokollierungsvor­schriften zum Ausdruck. Der deutsche Strafprozess kennt kein Wortprotokoll. In Ver­fahren, die eine minderschwere Be­deutung haben und vor den Amtsgerichten stattfin­den, reicht in der Regel eine Protokollierung der „wesentlichen Ergebnisse“ der Aus­sagen von Zeugen und Sachverständigen (§ 273 II 1 StPO). Von einer wörtlichen Wiedergabe von Aus­sagen in der Hauptverhand­lung wird abgesehen. Erst recht gilt das für die schwerwie­genderen Verfahren, die vor den Landgerichten und den Ober­landesgerichten stattfinden. In diesem Verfah­ren werden z. B. die Angaben Zeugen von Sachverstän­digen überhaupt nicht wörtlich proto­kolliert, also nicht einmal die wesentlichen Er­gebnisse der Vernehmungen festgehalten.

Es braucht nicht viel Phantasie, um darauf zu kommen, warum der Gesetzgeber und die Gerichte gerade in solchen Verfahren besonderen Wert darauf legen, dass es nicht zu einer wortgetreuen Aufzeichnung der Geschehnisse während der Hauptverhand­lung kommt. Solche Aufzeichnungen könnte nämlich die Überprüfung ermöglichen, ob die Fest­stellungen zum Sachverhalt in einem nachfolgenden schriftlichen Urteil von dem abwei­chen, was sich in der Haupt­verhandlung ereignete. Auf diesem Hinter­grund ist es kei­neswegs ein Scherz, dass deutsche Strafgerichte nach dem Inkrafttre­ten des Grundge­setzes auf die Idee kamen, es der Verteidigung zu untersagen, die ei­gene Sekretärin damit zu beauftragen, alles, was in der Hauptverhandlung gesagt wird, mit zu steno­graphieren. Solche Maßnehmen dienen den gleichen Zielsetzungen.

Dem Zweck der effektiven Verhinderung einer – zumindest partei-öffentlichen Kon­trolle – dient vor allem der vom Bundesgerichtshof erfun­dene Grundsatz des Ver­bots der Rekonstruktion der Hauptverhandlung. Dieser besagt nämlich nichts ande­res, als dass Straf­richter in ihren Urteilen den Inhalt von Zeu­genaussagen so wiedergeben können, dass dies sogar eindeutig den Angaben der Zeugen in der Hauptverhandlung widerspricht. Eine re­visionsrechtliche Überprüfung sol­cher Manipulationen am Fak­tum sind wegen des Verbots der Rekonstruktion der Haupt­verhandlung – derzeit – ausgeschlossen, womit das Gebot der Rechtsstaatlichkeit verhöhnt wird.

(siehe dazu Döhmer, Rekonstruktion der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren, SVR 2009, 47 ff, http://www.kanzlei-doehmer.de/Rekonstruktion_der_HV.pdf)

Auf dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen muss das Vorgehen des Präsiden­ten des Oberlandesgerichtes Mün­chen und des Vorsitzenden des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichtes München gewertet werden. Der bundesdeutsche Staat, zu dem auch die Münchener Justiz ge­hört, hat kein gesteigertes Inter­esse daran, die Hinter­gründe der vielfältigen staatli­chen Aktivitäten im Zusammen­hang mit dem „National­sozialistischen Untergrund“ aufzuklären. Gerade dies aber müsste in dem Verfahren gegen die Angeklagte Frau Zschä­pe und ihre Mitstreiter nicht nur aus rechtsstaatli­chen Gründen gesche­hen.

Anhang – Rechtsprechungsübersicht (Quelle: Döhmer, Auszug aus Lexikon des Strafrechts – http://www.kanzlei-doehmer.de/Oeffentliche_Kontrolle.pdf)

Tronje Döhmer

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