Bei der Kundgebung „Menschenrechte erhalten: Für Asyl, gegen politische Verrohung“ hat PD Dr. Johannes M. Becker am 16. Juli 2018 die Einführungsrede gehalten. Die HU Marburg dokumentiert sein Redemanuskript.
Liebe Anwesende, lassen Sie mich einen CDU-Politiker zu Beginn meiner kurzen Ansprache zitieren:
„Wenn 500 Millionen Europäer keine fünf Millionen oder mehr verzweifelte Flüchtlinge aufnehmen können, dann schließen wir am besten den Laden >Europa< wegen moralischer Insolvenz.“
Norbert Blüm (CDU), ehemaliger Minister für Arbeit und Sozialordnung, in einem Gastbeitrag für die SZ (Freitag, 13.7.18)
Wir haben zu dieser Kundgebung aufgerufen, weil wir über die politische Diskussion in diesem Lande in den vergangenen Wochen erschrocken sind, angewidert gar.
Wir wollen heute Stellung beziehen gegen eine Politik in München, in Berlin und in Brüssel, die wir in weiten Bereichen für menschenrechtswidrig halten.
Wer sind wir? Das Netzwerk „Kerner“ steht für ein interkulturelles Begegnungszentrum auf dem Gebiet des Lutherischen Pfarrhofes, wo wir mit Menschen auf der und nach ihrer Flucht zum Nutzen beider Seiten zusammenarbeiten.
Die „Initiative 200 nach Marburg“ setzt sich ein für „Marburg als Stadt der Zuflucht“ (auch heute werden wieder Unterschriften gesammelt für den Aufruf). Wir wollen ein kleines Zeichen setzen, ein Zeichen der Menschlichkeit in dieser gerade von Verrohung bedrohten Welt.
Lassen Sie mich die beiden (für mich) grundlegenden Texte zum heutigen Tag zitieren, ohne sie weiter kommentieren zu wollen:
Im Artikel 16a des Grundgesetzes heißt es Glas- und Sonnen-klar: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“
Der Artikel 16 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sagt: „Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.“ Erlauben Sie mir einen Blick auf die Flucht-Situation auf der Erde: 68,5 Millionen . zuz. 5,4 Mio. PalästinenserInnen.
90 Prozent sind Binnen- oder Flüchtende in Krisenregionen.
Syrien, Afghanistan und Südsudan sind (mit großem Abstand) die Hauptquellländer. Das Durchschnittsalter der Fliehenden beträgt 20 Jahre.
Die durchschnittliche Fluchtdauer 10 Jahre!
Bitte denken Sie über meine Frage nach: Wieviele dieser 68,5 Millionen sind freiwillig auf der Flucht?
(Bitte diese Flüchtenden-Zahl nicht mit der der MigrantInnen verwechseln: dies waren in 2017 258 Mio, 3,4 % der Erdbev.
Worum geht der momentane Hype in München, Berlin und Brüssel: Die FAZ meldet heute, dass bis zur Jahreshälfte 2018 59.167 Migranten auf der Flucht nach Europa gelangt sind.
Mindestens 1.433 sind ertrunken, noch mehr dürften bei der Querung der Sahara ums Leben gekommen sein.
Unser Land hat, obwohl es bis heute kein vernünftiges Einwanderungsgesetz verabschiedet hat, mehrere große Migrationsbewegungen überstanden, ja davon profitiert:
Zur Zeit der Hugenotten-Vertreibung aus Frankreich Ende des 17. Jahrhunderts (500.000 ProtestantInnen flüchteten aus dem Hexagon) siedelten viele deutsche Länder die Vertriebenen an: u.a. in Hessen („Franzosenwiesen“ im Burgwald). „Um das Jahr 1700 war etwa jeder vierte Berliner ein Franzose.“
Zwischen 1944 und 1947 flüchteten 14 Millionen Menschen aus Osteuropa, das Gros in die Bundesrepublik – bis 1957 waren alle integriert. Viele Millionen Gastarbeiter wurden m.o.w. erfolgreich integriert.
Aus der SBZ und DDR flohen oder siedelten über 1949 bis 1989 ca. 4 Millionen Menschen; Nach 1989 weitere 3 Millionen (nur 1 Million migrierte nach Osten).
Als AussiedlerInnen bzw. SpätaussiedlerInnen aus vor allem der Sowjetunion und aus Russland kamen von 1950 bis heute etwa 4,5 Millionen Menschen nach Deutschland.
Ich erinnere an den fortwährenden Appell des DIHT, dass unsere Ökonomie jährlich 400 – 500.000 MigrantInnen braucht, um unsere Renten und die Pensionen für die Zukunft zu erarbeiten. 2+3+2 freilich!
Ich komme zum Schluss: Meine sehr geehrten Damen und Herren: Machen wir unser reiches Land wieder zu einem Weltoffenen Land, machen wir diese reiche EU der 520 Millionen, demnächst immerhin noch 460 Millionen, zu einem Hort für Menschen, die Schutz brauchen und die auf der Suche sind nach einer lebenswerten Zukunft. Setzen wir und für die sofortige Beendigung aller Interventionskriege ein. Setzen für uns ein für die Bekämpfung der Fluchtursachen!
Kämpfen wir für ein sofortiges Verbot jeglichen Rüstungsexports.
Kämpfen wir für unsere „moralische Re-Solvenz“ im Blüm´schen Sinne und für ein „Marburg als Stadt der Zuflucht“! Ich danke Euch und Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
PD Dr. Johannes M. Becker
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