pm 1/90 * Bürgerrechtler gegen Jubelfeier: HU Marburg gegen 3. Oktober als Nationalfeiertag

Gegen staatlich verordnete nationale Jubelfeiern am dritten Oktober spricht sich der Ortsverband Marburg der Humanistischen Union aus.
Nicht nur in Bonn träumen christliberale Politiker von einer Vereinigungsfeier mit Glockengeläute und Marschmusik; auch auf dem Marburger Marktplatz soll am Mittwochabend strömendes Bier die Menschen in einen Vereinigungstaumel versetzen, während Oberbürgermeister Dr. Hanno Drechsler die westdeutsche Nationalhymne anstimmt. Die Humanistische Union fühlt sich durch diese Pläne stark an das alljährliche Maiansingen erinnert, wo reaktionäre Burschenschaftler bisweilen das Deutschlandlied um einige Strophen verlängert haben.
Auch die HU freut sich über den Fall einer Grenze, die die Menschen mit brutalsten Mitteln voneinander getrennt hat. Die wirklichen Volks-Feiern haben bereits am 9. November 1989 die spontane Freude der Menschen in Ost und West über den Fall der Mauer zum Ausdruck gebracht. Sie mußten nicht durch Oberbürgermeister und Bundeskanzler verordnet werden.
Der 3. Oktober als Tag der formalen Vereinigung Deutschlands ist für die HU kein Feiertag zum Bejubeln der Nation, sondern vielmehr Anlaß zur Besinnung auf die Aufgaben, die uns bevorstehen: Die Menschen in der DDR müssen bessere Lebenschanchen erhalten, ihre sozialen, politischen und ökologischen Rechte müssen gesichert werden. Hierzu hält die HU eine Weiterentwicklung des Grundgesetzes für notwendig. Über den Vereinigungstaumel darf nicht vergessen werden, dass der deutsche Nationalstaat nicht das Ende der Geschichte darstellt, sondern nur eine Übergangsstufe auf dem Weg zur europäischen Einigung ist. Vergessen werden dürfen auch nicht die Menschen in den anderen Ländern Osteuropas, deren mutiger Freiheitskampf zum Fall der Mauer beigetragen hat.
Dem Marburger OB rät die HU, auf ein Fest im Stile von Kaisersgeburtstagsfeiern zu verzichten. Sie fordert ihn auf, die für die Vereinigungsfeier am 3. Oktober verwendeten Gelder sozialen Projekten in der DDR oder den Ländern Osteuropas zuzuführen und so einen Beitrag zur Entwicklung eines menschlicheren Europas zu leisten. Franz-Josef Hanke

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