pm 7/06: Opfer als Täter Optimierungsgesetz gängelt Erwerbslose

“Hartz IV ist gescheitert. Die Befürworter dieser heftigsten Attacke auf das deutsche Sozialsystem wollen nun von ihrem Versagen ablenken, indem sie die Leistungsempfänger dafür verantwortlich zu machen versuchen.“ Das ist das Ergebnis einer Bestandsaufnahme des Arbeitskreises „Erwerbslosigkeit und Soziale Bürgerrechte“ (ESBR) der Humanistischen Union (HU) nach 15 Monaten Hartz IV.
Bei seiner Sitzung am Mittwoch (19. April) wandte sich der ESBR gegen die Pläne der Bundesregierung, den Druck auf die Bezieher des Arbeitslosengeldes II (ALG II) nochmals zu erhöhen. Ihnen soll demnächst unverzüglich eine „Arbeitsgelegenheit“ oder eine „Trainings-Maßnahme“ angeboten werden. Wer Leistungen vom Staat beziehe, der müsse sich dann auch bereit zeigen, dafür etwas zu tun, heißt es zur Begründung.
Nach Auffassung des ESBR stellt das sogenannte „Hartz-IV-Optimierungsgesetz“ die Erwerbslosen unter Generalverdacht, sie wollten den Staat nur melken. Dies empfindet der ESBR als „unverschämte Herabwürdigung von Millionen Menschen“!
Mit seinem Entwurf will der Gesetzgeber die Beweislast einer sogenannten “eheähnlichen Lebensgemeinschaft“ umkehren: Nachdem die Rechtsprechung festgestellt hatte, dass in einer Wohnung zusammenlebende Menschen nicht automatisch als “eheähnliche Gemeinschaft“ veranlagt werden dürfen, müssen sie nach dem Gesetzentwurf künftig ihrerseits den Beweis antreten, dass sie kein Paar sind. Das hält die HU für verfassungswidrig.
Tatsächlich sei Hartz IV nicht nur die Erwerbslosen teuer gekommen, sondern auch den Steuerzahler. Voraussichtlich werden die Kosten für Hartz IV im Jahr 2006 um drei bis vier Milliarden Euro höher liegen als ursprünglich geplant. Nun will die Bundesregierung mit ihrem “Optimierungsgesetz“ 1,2 Milliarden Euro an den Erwerbslosen einsparen.
Was viele vorab befürchtet hatten, ist eingetreten: Die Regelungen des sogenannten „Sozialgesetzbuchs II“ (SGB II) haben nach Beobachtungen des ESBR eine Spirale der sozialen Deklassierung in Bewegung gesetzt.
900.000 Menschen beziehen inzwischen Arbeitsentgelte, die unterhalb der Regelsätze des ALG II liegen. Nach Einschätzung des Diakonischen Werkes könnte sich die Zahl in nächster Zeit durchaus verdoppeln.
Die sinkende Zahl von Erwerbstätigen in versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen des sogenannten „Ersten Arbeitsmarktes“ und die sinkenden Real-Löhne bringen nach Einschätzung des ESBR die Sozialsysteme in finanzielle Bedrängnis. “Wenn diese Entwicklung anhält, dann sieht der ESBR schwarz für die Zukunft des Sozialstaates Bundesrepublik Deutschland“, erklärte der Marburger HU-Vorsitzende Franz-Josef Hanke.
Die Prüfung der Leistungswilligkeit hält er für “einen großen Schwindel“. Wenn sie sich ähnlich gestalte wie die Vermittlungsbemühungen des KreisJobCenters (KJC) in den vergangenen 15 Monaten, dann grenze dies an Leistungsbetrug durch die zuständige Behörde.
Dem ESBR waren Fälle bekanntgeworden, in denen das KJC Magister der Pädagogik aufgefordert hatte, sich als Erzieher bei Kindergärten zu bewerben. Offenbar war der zuständige Sachbearbeiter des KJC nicht in der Lage, zwischen Pädagogik und Erziehung zu unterscheiden. “Das ist, als ob man einen Fußballer auffordert, als Eisläufer anzutreten, weil er doch Sportler sei“, verglich Hanke.
In einem anderen Fall wollte das KJC eine Blinde als Aufsichtsperson zur Schulaufgaben-Betreuung einsetzen.
“Wenn die Prüfung der Leistungswilligkeit ähnlich aussieht, dann müssen Leistungsberechtigte mit Recht fürchten, völlig falsche Einschätzungen zu ernten“, befürchtet Hanke. Nicht vergessen darf man nach Ansicht des ESBR auch, dass die Zahl der Erwerbslosen um ein Vielfaches größer ist als die der Offenen Stellen.
„Man kann doch nicht die Erwerbslosen dafür verantwortlich machen, dass es keine Arbeitsplätze gibt“, erklärte Hanke. „Das aber versucht die Bundesregierung augenscheinlich mit ihrem Entwurf eines sogenannten Optimierungsgesetzes.“

Dragan Pavlovic

Über dp

Pressesprecher der HU Marburg

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