Bedingungsloses Grundeinkommen als demokratische Form der sozialen Sicherung – Überlegungen zur gerechten Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben

Mit einem sogenannten „Optimierungsgesetz“ möchte die Bundesregierung die Bedingungen für einen Bezug des Arbeitslosengeldes II (ALG II) weiter verschärfen. Die Proteste dagegen sind gering. Viele fürchten Repressionen, wenn sie aufmucken. Schließlich kann das ALG II bei sogenannten „Pflichtverletzungen“ um 60 Prozent gekürzt werden. Als demokratische und menschenwürdige Form einer sozialen Sicherung kann man das wohl kaum bezeichnen. Eher passen könnte diese Klassifizierung für das „Bedingungslose Grundeinkommen“.
Dieses Geld, das zur Bestreitung der lebensnotwendigen Aufwendungen ausreichen müsste, erhielte jede Bürgerin und jeder Bürger ohne Rücksicht auf seine finanzielle, berufliche und gesundheitliche Lage. Es träte nicht nur an die Stelle des ALG II oder der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII), sondern diente auch als Rente, BAFöG, Kindergeld oder Haussfrauen-Gehalt. Allein die Geburt und der Wohnsitz innerhalb des Landes würden für den Bezug des „Bedingungslosen Grundeinkommens“ ausreichen.
Neben diesem Einkommen, dessen Höhe bei gut 1.000 Euro liegen müsste, könnten Interessierte weiteres Geld hinzuverdienen. Doch wäre die Erwerbsarbeit im heutigen Sinne dann nicht mehr nötig, um sein Leben mit einem auskömmlichen Einkommen führen zu können.
Bedingungen in Form besonderer Gegenleistungen gäbe es für den Bezug dieser Leistung nicht. So böte sich den Behörden dann auch keine Möglichkeit mehr, Leistungsbezieher zu drangsalieren, zu schikanieren oder zu bestimmtem Verhalten zu zwingen.
„Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ steht im Grundgesetz. Es beginnt mit dem Leitsatz „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“.
Nimmt man diese beiden Grundsätze sowie die Festlegung des Artikels 20 „Die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ ernst, dann drängt sich das „Bedingungslose Grundeinkommen“ als demokratische Form der Existenzsicherung geradezu auf. Der Staat darf schließlich niemanden verhungern lassen. Und der demokratische Staat darf eigentlich auch niemanden durch Verweigerung von Leistungen zu einem bestimmten Verhalten „erpressen“.
Beschreitet die Politik aber weiterhin den gegenwärtigen Weg der schleichenden Armutsvergrößerung durch Leistungsabbau und Einschränkung der Bezugsvoraussetzungen, dann droht eine verheerende Spirale der Verelendung: Immer mehr Menschen werden arbeitslos. Da man ihnen kaum Geld und damit auch kaum Kaufkraft belässt, wird die Binnen-Nachfrage immer weiter eingedämmt. Durch den deswegen ausbleibenden Konsum geraten noch mehr Menschen in Erwerbslosigkeit. Ein Teufelskreis setzt ein, der den Staat in der Logik dieser Systematik nahezu zwingt, die immer größere Zahl der Leistungsempfänger mit immer geringeren Beträgen abzuspeisen oder viele aus dem Leistungsbezug hinauszudrängen.
Dieser Kreislauf hat längst schon eingesetzt: Ein Indiz für die steigende Armut in Deutschland ist die wachsende Zahl der „Tafeln“, die Bedürftige mit Lebensmitteln versorgen. Dabei wäre es die originäre Aufgabe des Staates, jede Bürgerin und jeden Bürger vor existentieller Not zu schützen!
Wenn er diese Aufgabe nicht erfüllt, dann hat der Staat keinerlei Existenzberechtigung. Menschen schließen sich nur zu Staaten zusammen, damit niemand um seine Existenz bangen muss. Innerer und äußerer Frieden, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit sind die Leitmotive für eine Assoziierung freier Individuen zu einem demokratischen Staatswesen.
“Wir sind das Volk“, riefen Hunderttausende im Herbst 1989. Mit ihrem Mut und ihrer Geschlossenheit fegten sie das unmenschliche SED-Regime einfach hinweg. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl versprach ihnen “blühende Landschaften“. Doch was den “Neuen Ländern“ nun blüht, ist die Verelendung ganzer Landstriche.
Den Wünschen des Volkes setzen Politiker dann angebliche “Sach-Zwänge“ entgegen. Die „demografische Entwicklung“ wie auch die „Globalisierung“ werden häufig als Droh-Kulisse benutzt, um dem Volk Verschlechterungen seiner sozialen Situation „schmackhaft zu machen“.
Eingesetzt wird dabei aber eher die Peitsche als das Zuckerbrot. Das vernaschen derweil einige wenige, die gleichzeitig die Peitsche schwingen, um ihre Besitzstände zu verteidigen. Unter der Drohung, Arbeitsplätze anderswohin zu verlagern, fordern sie immer weitere Steuersenkungen.
Auf Dauer kann der Soziale Frieden so nicht aufrechterhalten werden. Wenn schon heute nur noch 37 Prozent der Bundesbürger ihr Einkommen über eigene Arbeit erzielen, dann ist die große Zahl der Empfänger innerfamiliärer, öffentlicher oder andersartiger Transfer-Einkommen ein Anhaltspunkt für die Schieflage der klassischen Sozialsysteme. In Kassel lebt bereits jeder Siebte vom ALG II. Arbeit kann angesichts der hohen Automation nicht mehr als Begründung für Einkommen herhalten.
Ebensowenig kann angebliche „Faulheit“ als Begründung für den Bezug von Transfer-Leistungen gelten. Jeder Zwang zur Annahme von Arbeit – beispielsweise in Form sogenannter „Ein-Euro-Jobs“ – ist nur der Zwang zur Ausbeutung durch die Obrigkeit. Alle Bedingungen, die der Staat derzeit an den Bezug des ALG II knüpft, nehmen vor dem Hintergrund von fast fünf Millionen registrierten Arbeitslosen die Gestalt staatlicher Schikanierung an.
Das „Bedingungslose Grundeinkommen“ würde diese Debatte überflüssig machen. Es würde damit die gesellschaftliche Teilung in 37 Prozent Arbeitende und mehr als 50 Prozent Leistungsbezieher überwinden. Jeder wäre Leistungsbezieher. Und jeder könnte arbeiten, so wiel oder so wenig er will.
Gesellschaftlich notwendige Arbeit in den Bereichen Familie, Sozialfürsorge, Kultur und Politik wird heute häufig nicht bezahlt. Sie muss dennoch geleistet werden. Doch vergütet wird nur die Arbeit, die ihrerseits vergütbare Produkte schafft.
Die Schieflage der Diskussion über vermeintliche „Schmarotzer“ ist eben dieser Tatsache geschuldet: Viele leisten wichtige Beiträge für die Gesellschaft, ohne dafür irgendeine Art von Entgelt zu erhalten. Vielen wird die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, die in der derzeitigen Gesellschaftsform auch die Erwerbsarbeit einschließt, verwehrt. Zusätzlich werden sie dann auch noch als „Faulpelze“ beschimpft.
Die Existenz einer Abkassier-Mentalität ist in Deutschland sicherlich nicht vollkommen zu leugnen. Sie ist zweifelsfrei auch das Ergebnis der preußischen Obrigkeits-Tradition, wonach der Staat als „die da oben“ den „kleinen Leuten da unten“ entgegentritt. Wer gehorchen soll, empfindet sich wohl kaum als Miteigentümer!
Tatsächlich aber sind alle Bürgerinnen und Bürger der eigentliche Souverän. Sie sind die Teilhaber der vielzitierten „Deutschland AG“.
Die Politik ist nur das Management, das die Verwaltung dieses Eigentums übernommen hat. Die ihm übertragene treuhänderische Aufgabe bewältigt es derzeit aber leider ausgesprochen schlecht!
Nach wie vor folgt die Politik eher dem preußischen Obrigkeits-Denken als demokratischen Vorstellungen. Nur so ist die Diskussion über weitere Verschärfungen von Hartz IV zu erklären.
Gleichzeitig stoßen Politikerinnen und Politiker eine Debatte an, dass man dem Nachwuchs wieder mehr Tugenden vermitteln solle. Werte wie „Solidarität“ und „Toleranz“, „Gerechtigkeit“ und „Respekt vor der Würde anderer Menschen“ werden jedoch gerade von denselben Politikern und ihren Parteien tagtäglich mit Füßen getreten!
Demokratische Werte aber schreien geradezu nach einem freiheitlichen, gleichberechtigten und repressionsfreien Sozialsystem. Das „Bedingungslose Grundeinkommen“ böte einen geeigneten Ansatz, diese Werte zu verwirklichen.
Seine Finanzierbarkeit wurde schon oft in Frage gestellt. Entgegnungen auf diesen Vorhalt weisen immer wieder darauf hin, dass mit der Vereinfachung des Sozialsystems durch das „Bedingungslose Grundeinkommen“ eine gigantische Bürokratie abgebaut werden könnte. Soziale Not, Obdachlosigkeit und dadurch bedingte Krankheiten würden sicherlich nicht völlig verschwinden, doch sänke vermutlich die Zahl derjenigen, die dann noch einer Hilfe der Gesellschaft bedürfen.
Durch die gesteigerte Massenkaufkraft spränge auch die Konjunktur wieder an. Eine Besteuerung der Wertschöpfung anstelle der Besteuerung von menschlicher Arbeitskraft könnte dann zu Staatseinnahmen führen, die die notwendigen Ausgaben auch decken könnten.
Auf manchen mag das vorgeschlagene Modell unrealistisch wirken. Noch viel unrealistischer ist aber der Glaube, dass das Sozialsystem in seiner heutigen Form noch mehr als zehn Jahre überdauern könnte.

Franz-Josef Hanke

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