Ethik ist kein Tick: Demokratie bedarf gelebter Solidarität

Den „Verfall der guten Sitten“ beklagen viele. Manche aber machen selbst dabei mit, während sie auf andere schimpfen.
Nach der Devise Ich, ich und immer nur ich lauern viele nur auf ihren eigenen Vorteil. Gepredigt hat das vor allem der Neoliberalismus, der Egoismus als „das freie Spiel der Kräfte der Märkte“ rechtfertigte. Die neoliberale Propagandaagentur „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) hat mit Millionensummen aus Unternehmerverbbänden eine jahrelange Kampagne gegen Solidarität und staatliche Regulierung durchgeführt.
Diese Gehirnwäsche ist nicht folgenlos geblieben. Immer mehr Menschen glauben, ein „gesundes Selbstbewusstsein“ sei wichtig für die Verwirklichung der eigenen Interessen. Dabei verwechseln viele „Selbstbewusstsein“ mit Egoismus und Gier mit Erfolg.
Nachdem der Neoliberalismus jahrelang nahezu hemmungslos wüten konnte, hat sich dieser Egoismus nun auch in der Politik breitgemacht. Nationalismus, Rassismus und Parolen wie „America First“ ersetzen jahrzehntelang mühselig aufgebaute Strutkuren des Multilateralismus. Strafzölle und „Deals“ zum eigenen Vorteil wollen Macht auf Kosten Schwächerer erringen und sie über den Tisch ziehen.
Ethik spielt dabei keine Rolle. Solidarität und Humanität sind „out“. Das Wohlergehen anderer Menschen ist diesen machtgierigen Egozentrikern ebenso egal wie die Zukunft der Menschheit nach dem eigenen Tod.
Die Klimakatastrophe leugnen sie ebenso wie das Gleichheitsideal und die Werte der Verfassung. Das gilt für die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) ebenso wie für die Bundesrepublik Deutschland. In der praktischen Politik missachten viele Verantwortliche die Notwendigkeit einer raschen Klimawende ebenso wie unteilbaren Grund- und Menschenrechte oder historische Errungenschaften des Rechtsstaats und das Grundgesetz.
Überwachung und Polizeigesetze schränken Freiheitsrechte ein, ohne dass die dafür benannten Begründungen mit Fakten belegt sind. Vielmehr widersprechen sinkende Kriminalitätsraten und steigende Aufklärungsquoten ebenso wie wissenschaftliche Studien den Begründungen für diese menschenrechtswidrigen Gesetze.
Der Gipfel dieser Missachtung des Grundgesetzes und von Grundprinzipien des Rechtsstaats ist die sogenannte „Alternative für Deutschland“ (AfD) mit ihrer nationalistischen und rassistischen Hetze gegen Geflüchtete und die Europäische Union (EU). Aber auch in der CSU, Teilen der CDU und der SPD sowie der FDP finden sich Verächter des Rechtsstaats und des Grundgesetzes, die die Unschuldsvermutung, Seenotrettung und andere humanitäre Pflichten ignorieren.
Notwendig ist deshalb ein konsequentes Eintreten für humanistische Werte und für die freiheitliche Demokratie. Demokratie ist zwangsläufig auch immer praktizierte Solidarität, denn sie bedarf des Aufeinander-Zugehens und der Empathie mit den Mitmenschen. Demokratie ohne Minderheitenschutz ist ebensowenig zukunftsfähig wie Demokratie ohne Solidarität mit den schwächeren.
Ungebremster Egoismus ist undemokratisch. Kritik an Vielfalt ist Ausdruck von Einfalt. Nationalismus ist Ergebnis einer unnötigen Angst vor Veränderungen, die die zunehmende Technisierung der Welt automatisch mit sich bringen.
Nötig ist nun, diese Veränderungen human zu gestalten. Dabei ist eine kritische Auseinandersetzung mit neuen Technologien genauso nötig wie die Einführung neuer Technologien zum Wohle der Menschen.
Dieser Weg in die Zukunft ist eine Gratwanderung. Stillstand oder Rückschritt hingegen brächten den Absturz der Menschheit in die grausame Vergangenheit sozialdarwinistischer Rivalitätskämpfe. Darum gilt für Individuen wie für Staaten nach wie vor die Maxime des Königsberger Philosophen Immanuel Kant, alle anderen genauso zu behandeln, wie man selber gern behandelt werden will.

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