Lockdown: Blick nach vorn, links und rechts

Mich beruhigt der bevorstehende Lockdown. Seit Ende Februar lebe ich bereits weitgehend in Isolation.
Mich beunruhigt die Ignoranz vieler Mitmenschen. Immer noch behaupten einige, das Coronavirus sei harmlos oder gar eine Erfindung finsterer Mächte. Ähnliche Behauptungen verbreiten sogar Leute aus meinem persönlichen Bekanntenkreis.
Mich schockiert die mangelnde Fähigkeit mancher Mitmenschen, differenziert zu denken. Dabei liegt doch auf der Hand, dass der Lockdown nötig ist und die Erweiterung von Befugnissen der Polizei und der Geheimdienste gleichzeitig brandgefährlich ist. Wenn machtgierige Innenpolitiker und Spitzenbeamte in den Innenministerien die Chance wittern, ihre Macht zu erweitern, ist das noch lange kein Grund, lebensrettende Schutzvorkehrungen gegen eine Verbreitung des Coronavirus infrage zu stellen.
Mich befremdet die Überhöhung des angekündigten Impfstoffs als göttergleicher Heilsbringer. Zum Einen können gar nicht alle Menschen umgehend geimpft werden, weil beispielsweise Allergien kontraindiziert sind oder allein schon die gigantische Zahl Massenimpfungen erheblich verzögern wird; zum Zweiten ist selbst bei einer Wirksamkeit des Impfstoffs von 96 Prozent eine risiege Zahl geimpfter Personen trotzde m immer noch ungeschützt.
Zudem stellt sich die Frage, ob nicht auch geimpfte Personen kurzzeitig trotzdem infektiös sein können, da die Vaccine ja erst im Blut wirken kann und nicht schon im Rachenraum. Schließlch ist auch ungeklärt, wie lange der Impfschutz vorhalten wird.
All das müssen die Menschen offen besprechen. Wahrscheinlich wird es noch Monate oder gar Jahre dauern, bis die Masken alle wieder fallen können.
Auch die Kritik an bestimmten Vorschlägen von Virologen kann begründet sein, obwohl ihre Zunft gerade zu Zeiten der Pandemie wichtige Lotsenfunktionen leisten kann und muss. Letztlich bedürfen aber alle Entscheidungen einer möglichst breiten gesellschaftlichen Debatte, da nur diese Legitimation auch eine Einsicht in ihre Notwendigkeit erreichen kann. Parlamente können gerade jetzt beweisen, dass sie ein wesentlicher Garant der Grundrechte sind.
In diesem Punkt haben die Politikerinnen und Politiker im Deutschen Bundestag leidder nicht die rühmlichste Rolle gespielt. Während die AfD einmal mehr ihre rassistische Hetze verbreitet hat, haben andere die Maßnahmen zwar grundsätzlich befürwortet, dann jedoch neoliberale Partikularinteressen propagiert anstelle von Solidarität. Grundlegendere Diskussionen über tiefgreifende Änderungen haben leider nicht stattgefunden.
Milliardenprogramme zur Existenzsicherung betroffener Branchen sind ein geeigneter Baustein für eine zukunftsweisende Strategie. Allerdings müsste mit ihnen der sozial-ökologische Umbau der Wirtschaft zugunsten eines verbesserten Klimaschutzes einhergehen. Investitionen in eine klimafreundliche und sozial gerechte Wirtschaft werden sich nach einem Ende der Pandemie auszahlen, wohingegen Gelder für rückwärtsgewandte Branchen nur die Staatsverschuldung in die Höhe treiben.
Das angekündigte Verkaufsverbot für Feuerwerk ist nicht nur zur Sicherung der Kapazitäten von Krankenhäusern sinnvoll, sondern auch zur Verbesserung des Klimaschutzes. Allein in der Silvesternacht wurde in den vergangenen Jahren so viel Feinstaub in die Luft geschossen wie an mehr als zwei Monaten des übrigen Jahres. Die Feuerwerksindustrie sollte deshalb gezielt aufgegeben und das Böllerverbot langfristig fortgeführt werden.
Auch Fluglinien und Tourismusunternehmen werden nach der Pandemie nicht mehr weitermachen können wie vorher. Das kurzzeitige Jetten rund um die Welt verbieten Gesundheitsschutz und Klimaschutz gleichermaßen.
Die Gesellschaft wird mit dem Virus leben müssen, wenn sie ohne das Virus überleben will. Alle Menschen müssen sich wohl daran gewöhnen, dass Händeschütteln und Umarmungen in Zukunft der Vergangenheit angehören werden.
Die häufig geäußerte Forderung nach einer Konzentration von Schutzmaßnahmen auf sogenannte „Risikogruppen“ ist viel zu kurz gesprungen und deshalb brandgefährlich. Zum Einen ist längst bekannt, dass alle Altersgruppen vom coronavirus befallen werden und auch jüngere Menschen an Covid 19 sterben. Zum Zweiten ist auch unbestritten, dass Jüngere und auch Kinder ältere Mitmenschen anstecken können.
Ein gezielter Schutz von Pflegeheimen ist so lange sinnvoll, wie er nicht die Insassen von alen sozialen Kontakten abschneidet und aus deem gesellschaftlichen Leben ausgrenzt. Aber viele ältere oder kranke Menschen leben ja nicht in Heimen und werden nur geschützt, indem allen der gleiche Schutz garantiert wird. Zudem wird niemand mehr in Heime gehen, wenn dort das Risiko nicht nur tödlicher Infektionen droht, sondern auch das lebenszerstörender Kontaktsperren und einer unmenschlichen Einschränkung von Selbstbestimmung und Freiheitsrechten.
Die paternalistische Haltung der Forderung nach einem Schutz für „besonders Schutzbedürftige“ würdigt die Betroffenen herab und degradiert sie zu Opfern, während die anderen sich aufschwingen zu der Vorstellung, für sie selber sei das Coronairus harmlos. Damit sind sie am Ende nicht weit weg von den Positionen sogenannter „Querdenker“, die die Gefährlichkeit des Virus grundsätzlich in Frage stellen.
Ganz besonders deswegen ist die Solidarität aller mit allen unerlässlich. In der Pandemie sollte nicht jede oder jeder jammern und nach Stütze schreiben, sondern schauen, wie die eigene Zukunft durch solidarische Aktionen zu sichern sein könnte. Miteinander können die Menschen die Zukunft am besten gestalten.
Kunst und Kultur sind dabei ebenso unverzichtbar wie soziale Einrichtungen. Auf Dauer wird der Staat neoliberale Strukturen profitorienterten Eigensinns abbauen zugunsten gemeinnütziger Systeme von Wohlfahrt, Pflege der Demokratie und kultureller Debatten für eine lebenswerte Zukunft. Die Krise bietet die Chance, Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre jetzt zukunftsorientiert anzugehen.

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