pm 14/04: Hartz legt die Axt an Grundgesetz an – HU mahnt Einhaltung sozialer Bürgerrechte an

„Die Bundesrepublik ist ein sozialer Rechtsstaat.“ Diese Festlegung des Grundgesetzes wird nach Beobachtungen der Humanistischen Union (HU) mehr und mehr zur Makulatur. Einen schleichenden Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik kritisiert der HU-Ortsverband Marburg als rechtswidrige Aushöhlung der verfassungsmäßigen Ordnung Deutschlands. Unter dem Titel „Menschenwürde, ade?“ hat der Arbeitskreis „Erwerbslosigkeit und soziale Bürgerrechte“ (ESBR) der HU am Montag (26. Juli) gemeinsam mit dem DGB-Erwerbslosenkreis, der Erwerbslosengruppe von ver.di und dem Verein „AkademikerInnen-Solidarität Marburg“ (ASM) im Kulturladen KFZ eine „Beratung zu Hartz IV und ALG II“ durchgeführt.
In den nach VW-Vorstand Peter Hartz benannten „Reformen“ sehen die beteiligten Veranstalter einen massiven Angriff auf die Bürgerrechte Erwerbsloser. Nach Einschätzung des Marburger Rechtsanwalts Dr. Peter Hauck-Scholz strotzt das im Sozialgesetzbuch (SGB) II verabschiedete Gesetz zur „Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe“ nur so von Fehlern, Ungereimtheiten und Verfassungsverstößen.
Die seit dem 19. Juli von der Bundesagentur für Arbeit (BA) verschickten Antragsformulare erfragen eine Vielzahl von Daten, für deren Erhebung das Gesetz gar keine Grundlage hergibt. Damit verstößt das Formular gegen die Datenschutzbestimmungen auch des Sozialgesetzbuchs X. Zudem hätte das Antragsformular persönliche Informationen des Erwerbslosen auf einem Blatt mit Angaben des Arbeitgebers zusammengeführt. Dieses Zusatzblatt hat die BA zwar zwischenzeitlich durch zwei voneinander getrennte Bögen ersetzt; die neuen Formulare will die Agentur jedoch nicht anstelle der alten an die Erwerbslosen verschicken, sondern lediglich über das Internet als PDF-Datei bereitstellen.
Gravierendster Punkt der Kritik am neuen Arbeitslosengeld II ist die Festlegung seiner Höhe auf 345 Euro. Bislang war das bundesdeutsche Sozialhilferecht immer von einer individuellen Bedarfsermittlung ausgegangen, die ein menschenwürdiges Leben oberhalb der Armutsgrenze garantiert. Von diesem „relativen Armutsbegriff“ der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung rückt das SGB II nicht nur nach Einschätzung von Hauck-Scholz ab. Auch prominente Verwaltungsjuristen kritisieren, dass die neue Regelung Millionen von Menschen in die Armut treibt.
Umso problematischer ist nach Auffassung des Marburger Rechtsanwalts die Regelung des Rechtsschutzes für Antragsteller. Für sie wird künftig nicht mehr die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig sein, sondern das Sozialgericht. Die Richter dort seien mit dieser Materie aber bislang überhaupt noch nicht vertraut. Nach Hauck-Scholzens Einschätzung wird es mindestens zwei Jahre dauern, bis sich die Sozialgerichte die nötige Sachkompetenz erarbeitet haben. Zudem seien sie schon heute ohne die Zuständigkeit für das „Arbeitslosengeld II“ die am höchsten belasteten Gerichte Deutschlands.
Umso problematischer ist nach Auffassung von Hauck-Scholz die Festlegung im SGB II, dass Klagen keine aufschiebende Wirkung haben. Immerhin gehe es bei der umstrittenen Leistung in der Regel doch um den notwendigen Lebensunterhalt eines Hilfebedürftigen. Dessen Rechtsschutz werde durch das Gesetz aber erheblich – und in verfassungsrechtlich zweifelhafter Weise – eingeschränkt.
So sieht das SGB II sogenannte „Zielvereinbarungen“ zwischen dem Leistungsbezieher und der Arbeitsagentur vor. Verweigert ein Erwerbsloser den Abschluss einer solchen Vereinbarung „ohne wichtigen Grund“, so können seine Gelder um 30 Prozent gekürzt werden. Für die Anfechtung einer bereits abgeschlossenen Vereinbarung sieht das Gesetz überhaupt keine Rechtsschutzmöglichkeit vor.
Der Wuppertaler Verein „Tachelles“ hat eine Reihe kritischer Anmerkungen zum Gesetz und dem Antragsformular zusammengetragen. Sie seien – so Hauck-Scholz – von großer Sachkenntnis geprägt. Ihnen fügte der Marburger Jurist noch weitere Kritikpunkte hinzu. Das ganze Gesetz atme den Geist der Entwürdigung und Gängelei. Der Anwalt empfahl, das vorliegende Formular für den Antrag auf ALG II nicht zu verwenden, sondern den Antrag „freihändig“ zu stellen. Lediglich die Verwendung des Arbeitgeberbogens sei vom Gesetz vorgeschrieben. Bei der Bearbeitung des Antrags habe der Betroffene zwar eine Mitwirkungspflicht, die nach Hauck-Scholzens Einschätzung aber nicht im Ausfüllen des vorgelegten Formulars besteht.
Martin Bongards vom DGB-Erwerbslosenkreis empfahl, mit der Abgabe des Antrags auf ALG II vorerst noch zu warten. Das genaue Vorgehen der BA sei zur Zeit ohnehin noch nicht klar. Alle Experten befürchten mit Inkrafttreten der neuen Regelung zum 1. Januar 2005 ein heilloses Chaos.

Dragan Pavlovic

Über dp

Pressesprecher der HU Marburg

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