„Wüssten die Menschen genauer, was im Sozialgesetzbuch II steht, würden die Proteste noch viel massiver ausfallen“, meint Franz-Josef Hanke. Der Marburger Ortsvorsitzende der Humanistischen Union (HU) wendet sich mit dieser Einschätzung gegen die Behauptung des Bundeswirtschaftsministers, die Demonstrationen gegen „Hartz IV“ kämen allein aus Unwissenheit der Protestierenden zustande.
Seine Beteiligung an den Marburger Montagsdemonstrationen hat der Arbeitskreis „Erwerbslosigkeit und Soziale Bürgerrechte“ (ESBR) des HU-Ortsverbands Marburg am Mittwoch (18. August) einstimmig beschlossen. Scharf wendet sich die Bürgerrechtsorganisation gegen die „dummdreiste Desinformationspolitik“ des Bundeswirtschaftsministers Wolfgang Clement. Er wolle damit die Menschen anscheinend für dumm verkaufen, kritisiert die HU.
Wer Clements Behauptung einmal näher nachrechne, Erwerbslose könnten über sogenannte „Ein-Euro-Jobs“ bis zu 1.000 Euro im Monat dazuverdienen, dem falle dazu nur noch das desaströse Ergebnis der Pisa-Studie ein: Um den Basisbetrag von 345 Euro monatlich bis auf 1.0000 Euro aufzustocken, müsste man bei einem Stundenlohn von höchstens 2 Euro ganze 80 Stunden wöchentlich arbeiten. Nach dem Arbeitszeitgesetz sind in Deutschland aber höchstens 48 Wochenstunden erlaubt.
Ähnlich unredlich sei auch schon Clements Behauptung gewesen, das „Arbeitslosengeld II“ gestatte „großzügige Zuverdienstmöglichkeiten“. Nach dem Gesetzestext müssen Erwerbslose bis zu 85 Prozent ihrer Einnahmen an die Arbeitsagentur abtreten. Von einem 400-Euro-Job dürfen sie demnach ganze 60 Euro behalten. Großzügig sei diese Regelung allein für den Etat der Arbeitsverwaltung.
Um diese unwahren Behauptungen eines Bundesministers über existentielle Lebensbedingungen von Millionen Menschen richtigzustellen, plant der HU-Ortsverband Marburg eine Aufklärungskampagne zu „Hartz IV“. Außerdem ruft er alle sozial eingestellten Menschen zur Teilnahme an den Marburger Montagsdemonstrationen auf. Der erste Protestzug wird am Montag (23. August) um 17 Uhr vor dem Sozialamt am Wilhelmsplatz starten. Danach soll die Demonstration jede Woche einen anderen Weg nehmen.
Auch bundesweit wird der HU-Ortsverband Marburg seinen Protest gegen die Zerschlagung des Sozialstaats artikulieren: Beim Verbandstag der Humanistischen Union in Lübeck vom 10. bis 12. September wird er seine Position in Form zweier Resolutionsanträge vorbringen. Darin wendet er sich zum einen gegen die faktische Aushöhlung des grundgesetzlich verankerten Sozialstaatsgebots, zum anderen gegen die Einführung des „Arbeitslosengeldes II“.
Handwerkliche Fehler“ in diesem Gesetz bestätigen inzwischen selbst Vertreter der Bundesregierung wie Bundeskanzler Gerhard Schröder. Die HU sieht darin nicht nur eine unverantwortliche Schlamperei der Gesetzgeber, sondern auch eine inakzeptable Missachtung der Betroffenen. Sie setze sich auch in der Kritik von Politikern an den Demonstrationen gegen dieses Gesetz fort. Umso wichtiger ist es nach Auffassung der HU, gegen diese unverantwortliche Sozialpolitik zu protestieren.
Dragan Pavlovic