Wenige Wochen vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft steigt die WM-manie ins Unerträgliche. Hunderttausende werden am Mittwoch (24. Mai) in Kassel erwartet, um dort dem Original-Pokal der WM aus purem Gold zu huldigen. Um dieses Ereignis herum zelebrieren die FIFA und das deutche Organisations-Komittee ein Spektakel, das den religiösen Charakter des Fußballs für viele Fans verdeutlicht.
Die Verbindungslinie zwischen den Praktiken der Fußball-Fans und religiösen Ritualen veranschaulicht eine SAusstellung im Frankfurter Ikonen-Museum. Dort werden die Trikots bekannter Fußballer neben religiösen Reliquien präsentiert. Pokale stehen neben Ikonen. Und irgendwie scheint es da kaum Unterschiede zwischen den Fußball-Reliquien und seinen Ritualen auf der einen Seite und den Riten der Religionen zu geben.
„Fußball ist unser Leben“ sangen einst kräftige Männerstimmen. Sie drückten damit genau das aus, was viele Christen über ihren „Jesus“ genauso sagen würden.
Doch Fußball ist längst ein gigantisches Geschäft geworden. Millionen setzen die Vereine mit dem Kampf um Tore und Meisterschaften um. Da wird auch schon mal geschummelt, betrogen oder bestochen.
Bei Länderspielen und internationalen Meisterschaften gerät das Ganze leicht zu einem Krieg der beteiligten Nationen. Chauvinistische und nationale Töne werden laut. Fan-Gruppen der beteiligten Mannschaften stehen einander kampfeslustig gegenüber.
„Die Welt zu Gast bei Freunden“ lautet das Motto der Fußball-WM 2006. Doch welcher Gastgeber kassiert seine Besucher derart unverschämt ab, wie es die FIFA tut?
Selbst die Jahreszahl 2006 wollte die FIFA als „Marke“ schützen lassen, damit jeder ihr zahlen muss, der sie verwenden möchte. Dem wurde allerdings ein gerichtlicher Riegel vorgeschoben.
Doch wird die WM nun zum Totschlag-argument, mit dem alles Unmögliche möglich gemacht werden soll: Soldaten sollen im Innern eingesetzt werden, um die WM zu schützen. „No-Go-Areas“ für Menschen mit dunkler Hautfarbe sollen nicht benannt werden, damit ausländische Besucher nicht Abstand nehmen von einer Reise zur WM. Kritik am National-Trainer Jürgen Kliensmann darf nicht geäußert werden, um den Sieg der schlappen deutschen Kicker nicht zu gefährden. Fernseh-Programme werden umgestellt, damit die Fußball-Fans auf Kosten aller Anderen zu ihrem „Recht“ kommen. In diesen Tagen scheint die Fußball-WM das oberste Ziel allen Handelns in Deutschland zu sein.
Ausgeblendet wird dabei, dass es sich hier um die Nationalmannschaft des bundesdeutchen Männer-Fußballs handelt. Es gibt auch noch viele andere Sportarten. Und Deutschland hat sehr erfolgreiche Fußballerinnen. Doch die hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) jahrzehntelang ignoriert, bis ihre selbstorganisierte Spielfreude übermächtig geworden war und er nicht mehr an ihnen vorbeikam. Frauenfeindlich war der DFB jahrzehntelang fast genauso wie die Katholische Kirche.
Ohnehin ist die Geschichte des DFB ein trauriges Kapitel. Besonders seine Verstrickung in den Faschismus hat der Verband nach dem Ende der Nazi-Diktatur nicht wirklich aufgearbeitet. Im Gegenteil: Noch 1954 begrüßte der damalige DFB-Präsident die siegreiche Nationalmannschaft mit Tönen, die den Bayerischen Rundfunk (BR) zum Ausblenden aus der Life-Übertragung veranlassten. Er sprach vom „Führer-Prinzip“.
Bis heute haftet dem ersten Sieg der bundesdeutschen Fußballer über die ungarische Mannschaft in fußballinteressierten Kreisen aber immer noch etwas Mythisches an. Allgemein spricht man vom „Wunder von Bern“.
Wenn der Fußball überhaupt Wunder vollbringt, dann sind sie aber eher problematischer Art: Selbst vernünftige Menschen mutieren angesichts des runden Leders zu grölenden Schreihälsen, die mit einer Pulle Bier vor der Glotze hocken oder in randalierenden Rudeln lautstark singend durch die Straßen ziehen.
Dabei hat der Fußball doch einst so weise Philosophen wie den ersten Nachkriegs-Nationaltrainer Sepp Herberger hervorgebracht, der so tiefschürfende Betrachtungen anstellte wie „Der Ball ist rund“ und „Ein Spiel hat 90 Minuten“ oder „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“.
Als Fußball-Skeptiker muss man fürchten, dass Herberger recht behält und die Methode „Augen zu und durch“ hier nicht zieht: Nach der WM ist vor der WM!
Franz-Josef Hanke