Der Überbringer der schlechten Nachricht wird geköpft. Diese antike Tradition scheint derzeit – wenngleich auch in abgemilderter Form – in Deutschland wieder fröhliche Urständ zu feiern: Der einstige Regierungssprecher Uwe-Carsten Heye hatte ausländische Besucher der Fußball-Weltmeisterschaft davor gewarnt, bestimmte Gegenden zu betreten. Wutentbrannte Proteste gegen seine Äußerungen waren die Folge.
Tatächlich ist es aber Fakt, dass sich Menschen mit dunkler Hautfarbe oder deutlich fremdartigem Aussehen in bestimmte Gegenden Ostdeutschlands besser nicht hineintrauen sollten. Neofaschistische Jugendliche haben dort ein Terror-Regime errichtet, gegen das die Polizei machtlos scheint.
Ob sie wirklich machtlos ist, oder aber den Terror einfach viel zu lange geduldet und – mitunter vielleicht sogar wohlwollend – weggeschaut hat, ist indes die Frage.
Erst, als am Ostersonntag in Potsdam ein 37-jähriger Deutscher äthiopischer Herkunft brutal überfallen und fast ermordet worden war, klingelten die Alarmglocken.
In Berlin-Lichtenberg wurde am Freitag (19. Mai) Giyasettin Sayan überfallen. Der Migrations-Experte der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus stammt aus der Türkei. Er ist in Berlin relativ bekannt. Man könnte hier also von einem fremdenfeindlichen „Attentat“ sprechen.
In verschiedenen östlichen Bundesländern beschweren sich „Linke“, dass die Polizei sie nicht genügend vor rechtsradikalen Übergriffen beschütze. Neofaschistische Gewalt werde mitunter stillschweigen geduldet.
Einen erschreckenden Bericht über solche Erfahrungen hat der Marburger Journalist Jochen Schmidt in seinem Buch „Politische Brandstiftung“ geliefert. Er beschreibt darin die Verzögerung, mit der die Polizei 1992 die Bewohner des Asylanten-Wohnheims in Rostock-Lichtenhagen erst sehr spät vor einem rechtsradikalen Brandanschlag geschützt hat.
Ein anderes Beispiel für den skandalösen Umgang von Polizei und Justiz mit der Gegenwehr gegen Faschismus ist auch der Fall des Amöneburger Physikers Dr. Ulrich Brosa. Während die hessische Justiz ihn und seine Proteste gegen angebliches Fehlverhalten der Polizei scharf verfolgt, fasst sie seine rechtsradikalen Widersacher mit Samthandschuhen an.
So behauptete ein Staatsanwalt, er habe das Verfahren gegen einen Autor von e-Mails mit Morddrohungen gegen Brosa auf dem Wege des Täter-Opfer-Ausgleichs erledigt. Als Brosa einwandte, von diesem Verfahren wisse er nichts, antwortete ihm die Leitende Oberstaatsanwältin, der betreffende Staatsanwalt habe „Übersehen, dass zum Täter-Opfer-Ausgleich die Einwilligung des Opfers nötig“ sei.
Eine dermaßen skandalöse Begünstigung rechtsradikaler Straftäter ist das eigentliche Problem: Neonazis könnten sich dadurch geradezu ermutigt fühlen, in ihrem menschenverachtenden Treiben fortzufahren. Außerdem muss es ihnen wie Öl heruntergehen, dass ihr Widersacher verknackt worden ist, während sie selbst ungeschoren davonkommen!
Deswegen ist es dringend an der Zeit, dass die Justiz ihre Aufgabe ernst nimmt, den Sozialen Frieden auch gerade gegen Neonazis zu verteidigen. Demokratische Gegenwehr gegen Faschisten hat den Schutz des Staates verdient und nicht seine Härte!
Allerdings darf die Gesellschaft den Kampf gegen Faschismus nicht allein den Behörden überlassen. Die Gesellschaft muss als Ganzes jeder Form faschistoider Gewalt entgegentreten. Das muss sie stetig und beharrlich tun. Es reicht nicht, nur zur Fußball-WM einige Wochen lang gegen rechtsradikale Gewalt aufzustehen. Wenn Deutschland ein weltoffenes und demokratisches Land sein will, müssen alle demokratischen Grundwerte im Alltag verwirklicht werden. Da darf dann auch keiner wegsehen, wenn Unrecht geschieht.
Hinsehen ist unbequem. Aber noch unbequemer wird es, wenn die Menschen weiterhin wegsehen. Wie beschrieb doch schon der Widerstandskämpfer Martin Niemöller das Aufkommen des Faschismus: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,habe ich geschwiegen,ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen,ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Franz-Josef Hanke