In Marburg gab es keinen leeren Bus mehr. Alles, was Räder hatte, rollte in Richtung Bonn. Dort fand am 10. Oktober 1981 die erste große Friedensdemonstration gegen den NATO-Nachrüstungsbeschluss statt.
Genau 25 Jahre ist das nun her. Aber schon fast genau so lange vergangen scheint die Block-Konfrontation, die die Menschen damals angesichts des nuklearen “Overkill“ fürchteten. Weit mehr als 100.000 Menschen versammelten sich deswegen friedlich auf dem Bonner Hofgarten.
Damals war ich Friedens-Referent im Allgemeinen Studierenden-Ausschuss (AstA). Wir organisierten die Busse nach Bonn.
Tagelang saß ich mit dem Stellvertretenden AstA-Vorsitzenden Peter Feldmann von den Jungsozialisten (JuSos) und dem AstA-Finanzreferenten Klaus Vohrländer von der Grün-Bunt-Alternativen Liste (GBAL) in dem kleinen Nebentrakt der Mensa am Erlenring und überlegte, wo wir noch Busse herbekommen könnten. Der Kartenverkauf war plötzlisch so schwunghaft angelaufen, dass wir dringend weitere Plätze für die Tour nach Bonn brauchten.
Alle Bus-Unternehmen rund um Marburg riefen wir an. Bis weit hinauf in die Schwalm umkreisten unsere Anrufe die heimische Region. Im Süden hatte der Gießener AstA schon alle verfügbaren Busse blockiert. Deswegen richteten sich unsere Hoffnungen eher nach Norden.
Alles, was Sitzplätze hatte und im Gelegenheitsverkehr eingesetzt werden konnte, buchten wir. Bei den Preisen mussten wir da schon mal großzügig sein. Solange die Aktion dem AstA keinen Verlust einbrachte, war das in Ordnung!
52 Busse hatten wir schließlich zusammen, die alle vollgestopft wurden mit Friedens-Demonstrantinnen und -demonstranten. Allein in diesen Gefährten begaben sich mehr als 2.500 Marburgerinnen und Marburger auf den Weg. Hinzu kamen andere in Autos, in Zügen oder in Bussen gut organisierter oder eigenbrötlerischer Organisationen aus Marburg.
Während der Demonstration auf dem Hofgarten stand ich gleich neben der Bühne. Willy Brandt, Oskar LaFontaine und Heinrich Böll gingen unmittelbar neben mir zum Redepult. Mit Petra Kelly habe ich mich ein wenig unterhalten.
Uli Severin fotografierte damals das Geschehen. Er sprach mich an, weil er mich aus marburg kannte.
An den Inhalt der Reden kann ich mich heute nicht mehr erinnern. Unvergessen geblieben ist mir aber die Atmosphäre, die damals in der Bundeshauptstadt herrschte. Selten habe ich eine so riesige Masse Menschen so friedlich und freundlich erlebt!
Diese Stimmung hat auch viele Kritiker beeindruckt. Mein Vater, der vor der Demonstration über die “anreisenden Chaoten“ gewettert hatte, war hinterher voll des Lobes für sie. Auch der Busfahrer, der den Linienbus hoch auf den Venusberg steuerte, äußerte sich lobend über die Demonstranten.
Was diese und weitere Demonstrationen dann wirklich gebracht haben, das ist sehr schwer festzumachen. Sicherlich waren es aber gerade auch die Friedens-Demonstrantinnen und –demonstranten in verschiedenen Ländern Europas und Amerikas, die mit beigetragen haben zur Überwindung der Block-Konfrontation zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt. 25 Jahre nach der großen Bonner Demonstration ist dieser Konflikt nur noch blasse Erinnerung.
Doch eine friedlichere Welt haben wir damit noch lange nicht. Vielmehr drohen uns heute Konflikte, die wir uns damals nie hätten träumen lassen. Der internationale Terrorismus und der Terror unter dem Vorwand der Terrorismus-Bekämpfung bedrohen die Menschen heute vielleicht noch viel mehr als seinerzeit die Atom-Bomben. Und auch die sind ja nicht fort. Gerade hat auch Nordkorea eine solche Bombe gezündet.
Da bleibt also noch viel zu tun. Doch fraglich ist, ob der Marburger AstA jemals wieder so viele Busse voller Menschen in irgendeine Richtung zu irgendeiner machtvollen Demonstration wird schicken können?
Franz-Josef Hanke