„Sie war ein sehr repräsentatives Gebäude“, beschrieb Elmar Brohl die frühere Marburger Synagoge an der Universitätsstraße. Der pensionierte Baudirektor hat ein Buch über das Bauwerk veröffentlicht. Zur Zeit leitet er gemeinsam mit Rainer Nickel vom Freien Institut für Bauforschung und Dokumentation (IBD) eine Ausgrabung auf dem Gelände neben dem Landgrafenhaus.
Erbaut worden war die Synagoge im Jahr 1896 von dem protestantischen Architekten Wilhelm Spahr in neoromanisch-byzantinischem Stil. Zerstört wurde sie am 9. November 1938 bei der nationalsozialistischen Pogromnacht.
„Es war eine gezielte Aktion der Stadtverwaltung“, beschrieb Bürgermeister Dr. Franz Kahle die damalige Zerstörung. „Polizei und Feuerwehr waren informiert.“
Nun möchte die Stadt Marburg das Verbrechen ihrer Vorgänger der Öffentlichkeit sichtbar machen. Deswegen soll ein Teil der Grundmauern freigelegt und öffentlich gezeigt werden. Wie allerdings die Präsentation genau aussehen soll, das ist derzeit noch nicht klar.
Gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde als Eigentümerin möchte die Stadt über die Gestaltung des Mahnmals nachdenken, kündigte Kahle an. Bislang sei da noch alles offen.
Bereits seit 1963 befindet sich auf diesem unbebauten Grundstück eine Gedenktafel. Sie könnte nun durch Elemente der ausgegrabenen Synagoge ergänzt werden.
Innerhalb von nur zehn Tagen haben die Ausgrabungen interessante Details zutage gefördert. Weitere interessante Funde vermuten die Experten nun auch noch unterhalb des benachbarten Parkplatzes. Deswegen haben die Stadt und die Philipps-Universität
nach Angaben des städtischen Baudirektors Jürgen Rausch vereinbart, dass die Grabung auf den Bereich des Parkplatzes am Landgrafenhaus ausgedehnt werden soll.
Gut 370 Personen fanden seinerzeit in der Synagoge Platz. In ihren besten Zeiten hatte die jüdische Gemeinde in Marburg etwas mehr als 400 Mitglieder, berichtete Monika Bunk von der Jüdischen Gemeinde. Gekommen seien aber nur ungefähr zehn Prozent davon, was sie indes schon für recht viel hielt.
Die Frauen saßen auf einer Empore, während die Männer die Gottesdienste direkt im großen Gebetsraum verfolgten. So ist es in orthodoxen Gemeinden auch heute noch Tradition, erklärte sie.
Unter der Synagoge befand sich ein jüdisches Ritualbad. Diese sogenannte „Mikwe“haben die Archäologen wieder freigelegt.
Ein gekacheltes Becken bildete diese „Mikwe“. Es befand sich im Keller unterhalb der Synagoge. 15 mal 15 Zentimeter maßen die hellen Kacheln. Eine Bordüre zierte den Rand des Beckens. Oberhalb befand sich polierter Marmor.
Gespeist wurde das Bad entsprechend der rituellen Regeln durch Regenwasser, das eine Zisterne am Rand des Gebäudes vom Dach her auffing.
An allen vier Ecken des Gebäudes befanden sich Kamine, da das Bauwerk sonst – zumindest in der Anfangszeit – nicht beheizbar war.
Im Untergeschoss war eine Wohnung für den Hausmeister untergebracht. Ihre Mauer hin zur Universitätsstraße möchte Brohl gerne freilegen und als markantes Zeichen ausstellen.
Der Zugang zu dem jüdischen Gebetshaus erfolgte seitlich vom Westen her. Im Osten befand sich der Schrein mit der Tora. Er war besonders üppig verziert.
Absoluter Gipfel des Bauwerks aus rotem Sandstein aber war die Kuppel in 25 Metern Höhe. Sie überragte das benachbarte Landgrafenhaus ebenso wie das Gymnasium Philippinum zwei Häuser weiter auf der anderen Seite.
Gedeckt war sie mit leuchtend roten und gelben Ziegeln. Vor der Erbauung hatte es im Magistrat Streit darüber gegeben, berichtete Brohl. Einige Bürger hätten sich gegen eine vergoldete Kuppel ausgesprochen, wie sie beispielsweise die jüngst renovierte Berliner Synagoge besaß. Schließlich habe sich die Stadt mit der Jüdischen Gemeinde auf eine dezentere Kuppel geeinigt.
Doch auch sie sei sehr farbenfroh gewesen, bemerkte Brohl. Das belegten die nun gefundenen Dachziegel in leuchtendem Rot und strahlendem Gelb.
Gestützt wurde diese Kuppel auf vier mächtige Pfeiler aus Stein. Einen davon präsentierten die Ausgräber am Donnerstag (23. Juli) vor Ort der örtlichen Presse.
Wegen ihres großen Gewichts habe man die Trage-Konstruktion der Kuppel aus Holz gefertigt, erklärte Brohl. Das sei dann allerdings in der Pogromnacht sehr schnell lichterloh in Brand geraten.
Mit dem Brand der Synagoge am 9. November 1938 hat Marburg ein eindrucksvolles Stück Kultur unwiederbringlich verloren. Fast möchte man wünschen, es würde in all seiner wunderbaren Pracht wiederauferstehen.
Franz-Josef Hanke