Fünf Menschen starben am 29. Mai 1993 bei einem Brandanschlag auf ein Wohnhaus in Solingen. Vier junge Neonazis hatten ein Haus in Brand gesetzt, in dem Familien türkischer Herkunft wohnten.
14 Menschen wurden bei diesem Verbrechen teilweise schwer verletzt. Unter ihnen waren auch kleine Kinder.
Vorausgegangen waren dieser Mordtat fremdenfeinliche Anschläge im sächsischen Hoyerswerda, in Rostock-Lichtenhagen und in Mölln. Drei Tage vor dem rechtsradikal motivierten Angriff auf die Familie Genç hatte der Deutsche Bundestag mit dem sogenannten „Asylkompromiss“ das Ausländerrecht verändert und das Grundrecht auf Asyl stark eingeschränkt.
„Politisch Verfolgte genießen Asyl.“ So klar und uneingeschränkt hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes das Asylrecht 1949 festgelegt. Hintergrund dieser deutlichen Festlegung war die Erfahrung der Deutschen mit dem Asyl.
Tausende von Demokraten, Juden und Intellektuellen hatten vor der Hitler-Diktatur fliehen müssen. Im Asyl konnten sie der Nazi-Gewaltherrschaft entgehen.
Wer an einer Grenze abgewiesen wurde, der bezahlte das möglicherweise wie der Philosoph Walter Benjamin mit dem Leben. Das Asylrecht im Grundgesetz war die folgerichtige Verankerung des Schutzes der Demokratie für alle Menschen im Grundgesetz.
Die schleichende Aufweichung dieses Rechts war Ausdruck eines schmählichen Einknickens der bundesdeutschen Politik vor verbreiteter Fremdenfeinlichkeit. Die Morde in Solingen waren ihr direkter Ausdruck.
In Rostock-Lichtenhagen hatten mehr als 3.000 Schaulustige freudig beobachtet, wie ein Haus brannte, in dem sich über 100 vietnamesische Arbeiter befanden. Feuerwehr und Polizei erweckten den Eindruck, die „Ordnungshüter“ wollten die „Ausländer“ im brennenden Haus schmoren lassen.
Auch im Fall des Brandanschlags von Solingen gibt es unangenehme Randerscheinungen. So waren die Meldebehörden wohl nicht bereit, den Opfern die Anschrift eines Neonazi-Mörders herauszurücken, der ihnen Schadenersatz schuldete.
Die Erinnerung an die menschenverachtende Mordtat in Solingen und ihre Vorgeschichte macht mehr als deutlich, dass die Überraschung vieler Verantwortlicher über die Mordserie des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) entweder geheuchelt oder von Vergesslichkeit geprägt ist. Jedenfalls scheinen die Taten von Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen keine nachhaltigen Konsequenzen gezeitigt zu haben. Zu hoffen ist, dass das nach den zehn NSU-Morden anders wird.
Bislang aber verfolgen Staatsanwälte und Polizisten häufig antifaschistische Demonstranten, während sie Neonazis oft mit Samthandschuhen anfassen. Das gilt zum Beispiel für den Fall eines Antifaschisten aus Amöneburg, den ein Neonazi mit Morddrohungen einzuschüchtern versuchte.
Solange Behörden von „Extremismus“ sprechen und dabei „Rechts“ und „Links“ gleichsetzen, bestehen noch große Zweifel an ihrer demokratischen Grundhaltung. Solange der sogenannte „Verfassungsschutz“ und Polizeibehörden Akten schreddern, gibt es Grund, ihre Verstrickung in die Machenschaften der Neonazis kritisch zu hinterfragen.
Die Forderung der Humanistischen Union (HU) nach einer Auflösung der Verfassungsschutzbehörden ist sehr einfach zu begründen: Aller Erfahrung nach sind Geheimdienste nicht demokratisch kontrollierbar. Der beste Verfassungsschutz ist die Zivilgesellschaft selbst.
Franz-Josef Hanke