Über die Vorratsdatenspeicherung (VDS) haben sich Tausende engagierter Bürger vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erfolgreich gewehrt. Nun aber stellt sich heraus, dass US-amerikanische Geheimdienste die Bevölkerung Deutschlands komplett durchleuchtet haben. Der Daten-Supergau ist offenbar schon seit Jahren erschreckende Wirklichkeit.
Häufig wurde der Streit über die VDS auf eine Auseinandersetzung zwischen dem Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und der Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger reduziert. Völlig verschwiegen wurde dabei meist, dass das BVerfG die Vorratsdatenspeicherung in einer Eilentscheidung mit deutlichen Worten klar verboten hatte.
Die VDS stellt die gesamte Bevölkerung von vornherein unter Generalverdacht. Damit wird die Unschuldsvermutung zur Makulatur. Sie ist aber eine unerlässliche Grundbedingung jedes Rechtsstaats.
Alle Vorstöße des BKA-Präsidenten Jörg Zierke sowie sogenannter „Sicherheitspolitiker“ für eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung sind ein flagranter Verfassungsbruch. Als Bundesinnenminister hatte der jetzige Finanzminister Wolfgang Schäuble das Grundgesetz sogar als „lästige Fessel“ bezeichnet. Solche verfassungsfeindliche Politiker gehören nicht in derartige Positionen!
Auch der amtierende Bundesinnenminister Friedrich hat bei der Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) am Dienstag (16. Juli) offenbar wenig Ehrgeiz gezeigt, die Bürger vor der flächendeckenden Überwachung durch die National Security Agency (NSA) der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) zu schützen. Von seiner Reise in die USA ist er anscheinend ohne greifbare Ergebnisse zurückgekehrt.
Berichten zufolge hat die NSA alle deutschen e-Mails abgezapft. die e-Mail-Adressen der Absender und Empfänger sowie den Betreff hebt sie demnach unbefristet auf. Die Inhalte speichert sie für ein halbes Jahr.
500 Milliarden Telefongespräche hat die NSA allein in Deutschland abgezapft. Büros der Europäischen Union (EU) hat sie verwanzt.
In die Server von Google und Microsoft hat sich die NSA direkt eingeklinkt. Dank der Mithilfe von Microsoft kann die NSA sogar verschlüsselte Mails entschlüsseln. Wo das nicht gelingt, hebt sie die Mails auf in der Hoffnung, das in der Zukunft einmal zu können.
Sogar Absender- und Empfängeranschriften auf Briefen werden sowohl in den USA wie auch in Deutschland flächendeckend eingescannt. Angeblich geschieht das bei der Deutschen Post AG aber allein aus technischen Gründen. In den USA erfolgt die elektronische Erfassung der „Schneckenpost“ hingegen ausdrücklich zur „Terrorabwehr“.
Zur Legitimierung ihrer ungeheuerlichen Aktivitäten hat sich die NSA in den USA eigens ein Geheimgericht einrichten lassen. Deutsches Recht kümmert die NSA anscheinend nicht. Ihr Chef Keith Alexander verfährt dabei nach der Devise „Bevor wir nach einer Stecknadel im Heuhaufen suchen, greifen wir uns doch lieber gleich den ganzen Heuhaufen.“
Das ist ein kriminelles Vorgehen. Nach bundesdeutschem Recht ist es nicht nur verfassungswidrig, sondern als „Nachrichtendienstliche Agententätigkeit“ vermutlich auch strafbar.
Dennoch beschwichtigen die meisten Politiker das zu Recht erboste Volk. Man müsse „mit den amerikanischen Freunden“ darüber reden, heißt es dann. Doch mit einem Dieb verhandelt man nicht, ob er das Haus nächstes Jahr verlässt und dann mit dem Diebeszug durch alle Wohnungen aufhört!
Mit der NSA wird die Bundesregierung wahrscheinlich so lange verhandeln, bis die Bürger den Skandal wieder vergessen haben. Währenddessen wird das Volk weiterhin unter Generalverdacht stehen und bespitzelt.
Noch war wenig zu erfahren darüber, wie die NSA an deutsche Telekommunikationsknoten herangekommen ist und welche illegalen Abhöraktionen deutsche Geheimdienste durchgeführt haben oder wie sie von Erkenntnissen der NSA profitiert haben. Nur vereinzelt erschienen Beteuerungen beispielsweise des Telekom-Vorstandsvorsitzenden Rene Obermann, sein Unternehmen arbeite nicht mit ausländischen Geheimdiensten zusammen.
Empörung und Entsetzen über die Vertuschungsversuche der Verfassungsschutz-Behörden des Bundes und der Länder sowie beim Bundeskriminalamt (BKA) im Zusammenhang mit der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ging durchaus durch die Berichterstattung der deutschen Medien. Die rechtswidrige Bespitzelung des Geheimdienst-Kritikers Rolf Gössner sowie die Finanzierung von Neonazi-Organisationen durch steuerfreie Honorare für V-Leute indes waren kaum Thema.
Allein die Hetzjagd US-amerikanischer Regierungsstellen gegen den ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden bis hin zur Verweigerung der Überflugrechte für den bolivianischen Staatspräsidenten Evo Morales ist ein eindeutiger Beleg für den Wahrheitsgehalt der Behauptungen von Snowden.
Die Arbeit der Geheimdienste geschieht grundsätzlich im Dunkeln. Unerlässlich ist deswegen eine Auflösung der Geheimdienste, weil sie nicht kontrollierbar sind und einen undemokratischen Fremdkörper im demokratischen Staat darstellen.
Vielleicht sollten Journalisten einmal nachrecherchieren, ob die NSA auch auf Bankbewegungen zugreift. Zumindest die Abwicklung von Überweisungen ins Ausland läuft nach dem SWIFT-Abkommen ja über die USA.
Ebenso wäre die Frage sinnvoll, wie die Elektronische Steuererklärung vor Zugriffen von Geheimdiensten geschützt ist. Gleiches gilt für den gesamten elektronischen Behördenverkehr sowie die Elektronischen Krankenakten.
All das haben Politiker der unterschiedlichen Regierungen mehr oder weniger eifrig vorangetrieben. Der Frankfurter Strafrechtler Prof. Dr. Peter Alexis Albrecht bezeichnete ihre Kritik am Umgang der Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Abhörskandal im Deutschlandradio dann auch als „Krokodilstränen“.
Deutsche Dienste arbeiten möglicherweise ebenso am Rande oder gar außerhalb der Legalität wie die anderer Staaten. Gedeckt wird ihr Handeln fortlaufend durch die jeweils Regierenden. Sie sorgen auch dafür, dass die Geheimdienste über genügend Geld für ihre Schnüffelei verfügen.
Offenkundig greifen die Geheimdienste auf Bilder Hunderttausender von Videokameras im öffentlichen Raum zu. Wahrscheinlich werden sie nicht nur eigene Drohnen zum Ausspähen einsetzen, sondern auch die Aufnahmen derjenigen Fluggeräte verwerten wollen, die zur Waldbrandbekämpfung oder zu anderen Zwecken über das Land hinwegfliegen.
Mit ihrem Programm „INDECT“ wollte die Europäische Union (EU) die automatische Verknüpfung solcher Informationen erforschen und dann nutzbar machen. Über dieses ungeheuerliche Forschungsvorhaben der EU war in den Medien auch nicht allzuviel zu erfahren.
Gerne werden Hinweise auf unblaubliche Vorgänge mit dem Wort Verschwörungstheorie schnell in eine Schublade gesteckt. Die Verschwörung gegen die Demokratie bleibt so leichter unentdeckt.
Franz-Josef Hanke