Reingekniet: Von der Gier zur Gewalt

Gewaltfreie Konfliktlösung ist essenziell für zukunftsfähige Demokratie. Der Schwerpunkt liegt dabei sowohl auf der Gewaltfreiheit als auch auf der Lösung der Konflikte.
Um Konflikte zu lösen, muss man sie zunächst erkennen und analysieren. Die notwendigen Herangehensweisen dafür hat Prof. Dr. Johan Galtung beschrieben. Vor mehr als 60 Jahren hat der – immer noch unermüdlich aktive – Norweger die moderne Friedensforschung begründet.
Im Laufe der Jahre hat Galtung wichtige Begrifflichkeiten geprägt. Neben physische Gewalt setzt er auch „strukturelle Gewalt“ und „kulturelle Gewalt“.
Beim Rassismus gehen diese drei Erscheinungsformen von Gewalt ineinander über und bedingen einander. Wie in einem Brennglas zeigt Rassismus die Gewaltättigkeit seiner Protagonisten und Strukturen in diesen drei Bereichen.
Mit der anmaßung einer vermeintlich überlegenen Kultur nahmen sich europäische Staaten das Recht, andere Länder zu unterwerfen und auszubeuten. Die eigene „Kultur“ drängte man den kolonialisierten Völkern dabei nicht nur in Form missionarischer Zwangsbekehrung zum Christentum auf, sondern auch in der Anpreisung der eigenen Lebensweise als angeblich überlegene „Zivilisation“. Grund für all das war jedoch die Gier nach den Reichtümern der kolonialisierten Gebiete.
Aufbegehrende Völker wurden mit Gewalt unterdrückt. Ihre Reichtümer und Rohstoffe wurden geraubt und nach Europa exportiert. Ihre Landwirtschaft wurde zur Versorgung Europas mit Bananen, Kakao oder Kaffee sowie Öl oder anderer Produkte intensiviert und der Nutzung durch die einheimische Bevölkerung entzogen.
Die Menschen der unterworfenen Länder galten in Europa als „minderwertig“ und „faul“. Mit dem Märchen von der angeblichen „Überlegenheit“ der europäischen Kultur rechtfertigten Staaten und Unternehmen das Unfrecht der Kolonisation. Die unterdrückten Völker ließen sie rechtlos zurück.
Nach dem Ende des 2. Weltkriegs erkannten mehr und mehr Menschen die Parallelen zwischen der Kolonisierung Afrikas und Lateinamerikas oder asiatischer Länder und dem verheerenden Völkermord der Nazis in Europa. Von Völkermord sprechen Deutsche jedoch bis heute immer noch nicht offiziell, wenn sie auf das Unrecht deutscher Kolonialtruppen an Hereros und Nama in Namibia schauen.Noch ist ihr Unrechtsbewusstsein allerhöchstens in Ansätzen erkennbar.
An die Stelle der direkten Kolonialisierung durch staatlichen Zwang ist inzwischen eine strukturelle Abhängigkeit der einstigen Kolonien von den früheren Unterdrückern getreten. Weiterhin sind viele europäische Konzerne in den einstigen Kolonien aktiv damit beschäftigt, den Raubbau an deren Reichtümern und die Ausbeutung ihrer Bevölkerung fortzusetzen im Interesse der eigenen Gewinnmaximierung.
Wenn sich Deutschland heute als „Exportnation“ rühmt und seine „exportorientierte“ Wirtschaft preist, dann muss man dahinter mindestens drei dicke Fragezeichen machen. Di deutschen Exporte sind nur zu sehr geringem Teil Ergebnis technischer Überlegenheit und „deutschen Fleißes“ oder „deutscher Gründlichkeit“, sondern meist die Folge sozialer und struktureller Ungerechtigkeiten. „Exportorientierung“ ist nur ein bequemeres Wort für verfeinerte Formen von strukturellem Kolonialismus.
Die Abschöpfung fremden Reichtums ermöglicht den Reichtum Europas auf Kosten der Menschen in den einstigen Kolonien. Armut und Hunger in Afrika oder asiatischen Ländern sind die direkte Folge. „Entwicklungshilfe“ ist nur eine paternalistische Form der Verlagerung dieser Abhängigkeit von wirtschaftlichen in gesellschaftliche Strukturen mit der Behauptung einer angeblichen „Wiedergutmachung“.
Mit Forderungen nach „Goog Dovernance“ hat die sogenannte „Entwicklungszusammenarbeit“ ein neues Überlegenheitsmythos gefunden. Die Politiker tun dabei so, als gäbe es in Deutschland keine oder zumindest fast keine Korruption. Dabei ist die Einflussnahme von Lobbyisten beispielsweise der Autoindustrie auf das regierungshandeln offensichtlich.
Die Verlagerung von „Entwicklungshilfe“ auf Projekte sogenannter „Public Private Partnership“ (PPP) überträgt das menschenverachtende neoliberale Wirtschaftsmodell der angeblich unbegrenzten „Freiheit der Märkte“ in die Länder, die sich daran beteiligen. Die marktradikale Wirtschaftsideologie ist die treibende Kraft für die fortgesetzte Ausplünderung der gesamten Welt. Sie verbrämt ihre gewalttätigen Strukturen als angebliche „Freiheit“.
Neoliberale Ideologen betrachten jedoch alle Menschen ebenso wie die Natur nur als entweder Konsumenten, Ware oder Arbeitskräfte. Was einst offen als „Sklaven“ bezeichnet wurde, nennen sie heute „Humankapital“. Geblieben sind in den Arbeitsverhältnissen jedoch meist die Abhängigkeiten, die einen starken existenziellen Druck bis hin zu struktureller Gewalt ausüben.
Strukturelle und kulturelle Gewalt spiegelt sich auch in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr wider. In Afghanistan, Mali und am Horn von Afrika sichert sie die wirtschaftlichen Interessen weltweit agierender deutscher Konzerne. Zusammen mit der Militärmacht Frankreich und der US-Army hat sie über Jahrzehnte hinweg die Strukturen einer Herrschaft des „Westens“ über diese Gebiete verteidigt.
Diese Gewalt nach außen manifestiert sich in einer entsprechenden Struktur im Innern: Flüchtlingsbewegungen als Folge von Hunger und Krieg werden abgewehrt und auch mit militärischen Mitteln abgeschnitten. Das Mittelmeer ist der Schauplatz eines erbitterten Kolonialkriegs der Europäischen Union (EU) gegen Afrika.
All diese strukturellen Rahmenbedingungen machen ein radikales Umdenken in der Wirtschafts, Militär- und Außenpolitik notwendig. Wenn dieses Umdenken nicht stattfindet und die Strukturen nicht verändert, werden Klimawandel, Migrationsbewegung und eine gewalttätige Unterdrückung auch der einheimischen Bevölkerung in Europa zu befürchten sein.