Der HU-Ortsverband Marburg betrachtet das Glockenläuten vor Gottesdiensten als Belästigung der Bürger, die nicht mit dem grundgesetzlich garantierten Recht auf Religionsfreiheit vereinbar ist.
„Wenn der Staat das Glockenläuten der christlichen Kirchen akzeptiert, dann muß er folgerichtig auch den Ruf des Muezzins vom Minarett hinnehmen“, erklärt HU-Pressesprecher Dragan Pavlovic. Schließlich sei der Staat nach der Verfassung zur Gleichbehandlung aller Bürger und damit auch aller Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen verpflichtet.
„Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt auch, daß religionslose Bürger und Atheisten vor ständigen Belästigungen durch die Religionsgemeinschaften geschützt werden“, erklärt Pavlovic. „Religionsfreiheit beinhaltet auch das Recht auf eine Freiheit von Religion.“
Es sei nicht einzusehen, daß die „TA Lärm“, die bundesweite Verordnung über gewerbliche Geräuschemissionen, die erlaubten Lärmwerte von Industrieunternehmen und Gewerbebetrieben beschränkt, die christlichen Kirchen aber ihren Nachbarn jeden Sonntagmorgen in aller Herrgottsfrühe ein ohrenbetäubendes Glockengeläute zumuten dürften.
Im Verzicht auf den allsonntäglichen Glockenlärm sieht Pavlovic eine Maßnahme zur Verbesserung des Miteinanders von Konfessionslosen, Christen und Muslimen sowie Gläubigen anderer Religionen. Die Trennung von Kirche und Staat als wesentlicher Verfassungsgrundsatz sei in der Bundesrepublik immer noch nicht ausreichend verwirklicht.
Als Beispiel hierfür benennt Pavlovic die Weigerung des Bundeslandes Bayern, nach dem „Kruzifix-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts auf das allgegenwärtige Kreuz im Klassenzimmer zu verzichten wie auch den verfassungswidrigen Kirchensteuereinzug durch den Staat.
Insbesondere die katholische Kirche versucht nach Auffassung des HU-Ortsverbands Marburg immer wieder, der Gesellschaft ihre erzkonservativen Positionen aufzuzwingen. Wenn der Fuldaer Bischof Johannes Dyba das Glockenläuten als „Mahnung“ gegen Abtreibung anordnet, dann werde der Mißbrauch des Geläuts als diktatorisches Propagandamittel offenkundig. Mit dem Glockenläuten werde jeder auf den Beginn des Gottesdienstes hingewiesen, auch wenn er kein Interesse an dieser Veranstaltung habe. Diesem Lärm könne keiner entgehen. Handelte es sich dabei aber um den Ruf eines Muezzins, so wäre vielstimmiger Protest mit Sicherheit dessen Folge.
„Wir haben nichts gegen Glockenläuten“, erklärt Pavlovic, „aber nur in Zimmerlautstärke! Vor allem haben wir aber etwas gegen lautstarke Missionierungsaktivitäten einzelner Kirchengemeinden, die sich dabei ungerechtfertigte Privilegien herausnehmen. Wer den Muezzin nicht hören will, der muß auch auf die Kirchenglocken verzichten!“
Dragan Pavlovic