Auseinandersetzung um Kultur, Religion und Politik – HU-Podiumsdiskussion „Krieg über Karikaturen – wie viel Kritik an Religionen ist erlaubt?“

„Krieg über Karikaturen – wie viel Kritik an Religionen ist erlaubt?“ lautete der Titel einer Podiumsdiskussion, die das Zentrum für Konfliktforschung (ZfK) der Philipss-Universität und der HU-Ortsverband Marburg am Donnerstag (2. März) im Hörsaal „H“ der Philosophischen Fakultät durchgeführt haben.
Diskussionsteilnehmer waren der evangelische Pfarrer Hannes Eibach von der Marburger Universitätskirche, der Marburger Ausländerbeirats-Vorsitzende Dr. Kamal Sido, der Philosoph Dr. Dr. Joachim Kahl und der Politologe und Islam-Wissenschaftler Andre Bank vom ZfK.
Zu Beginn stellte Kahl vier Thesen auf:
1. Der vielzitirte „Krieg der Kulturen“ existiert bereits. Wir sollten ihn entschlossen führen und die Werte der Aufklärung und Demokratie verteidigen. Dabei sollten wir aber nur Mittel anwenden, die diesen Zielen nicht entgegenstehen.
2. Die berechtigte Forderung nach Toleranz darf nicht zu einer Aufweichung dieser Positionen führen. Toleranz muss ihre Grenzen dort haben, wo sie ein Zurückstecken eigener Positionen bewirkt.
3. Religiöse Gefühle dürfen keinen privilegierten Schutz genießen. Kritik an Religionen hat es immer gegeben. Sie ist notwendig, um gesellschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen.
4. Der Islam benötigt dringend eine innere Erneuerung. Er hat bisher noch keine „Aufklärung“ durchgemacht. Ihm fehlen ein muslimischer Martin Luther oder ein islamischer Michael Gorbatschow.
Auch Eibach sprach sich für Kritik an Religionen aus. Jesus selbst habe solche Kritik geübt, als er beispielsweise die Wucherer aus dem Tempel verwiesen habe. Wichtig bei der Kritik sei aber ihr Inhalt: Kritik müsse auf den Kern der religiösen Fundamente hinweisen. Wenn sie dazu diene, diesem Kern näherzukommen, sei sie nicht nur berechtigt, sondern nötig.
Einen „Kampf der Kulturen“ wollte Eibach nicht akzeptieren. Er forderte, vor einer Auseinandersetzung müsse man sich zunächst um ein Verständnis der Position des Anderen bemühen. Das geschehe in der derzeitigen Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen viel zu wenig.
Sido verwies auf den Ursprung der abendländischen Tradition in Mesopotamien. Auf arabischen und kleinasischen Wurzeln habe Europa seine Positionen von Aufklärung und Demokratie aufgebaut. Diese Entwicklungen wolle auch er als Muslim nicht missen.
Das Verhalten vieler fundamentalistischer Islamisten hält er für unlogisch. Bis zum Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ hätten sie sich immer nach Amerika orientiert. Die Sowjetunion sei für sie die Verkörperung des Bösen gewesen. Mit ihrem Zusammenbruch seien die USA dann plötzlich zum Feind mutiert. Nun machten sie ihre schlimmsten Gegner im Westen aus.
Bank hält die gesamte Debatte über die zwölf dänischen Mohammed-Karikaturen für inszeniert und aufgebauscht. Ausländerfeindliche Kreise in Dänemark hätten damit versucht, eine fremdenfeindliche Stimmung zu schüren. Sie hätten die Karikaturen so lange an immer fundamentalistischere Muslime weitergereicht, bis schließlich die erhoffte Reaktion eines wütenden Protests eingesetzt habe. Die Folgen dieser „Hetze“ seien ihnen dann allerdings über den Kopf gewachsen.
Auch der Protest gegen die Karikaturen sei häufig inszeniert, vermutete Bank. Die deutlichsten Massenproteste hätten in laizistischen Ländern wie Syrien stattgefunden, wo normalerweise keine größere Menschenansammlung ohne Billigung der Regierung zusammenströmen könne. Das autokratische syrische Regime benötige aber eine USA- und Europa-feindliche Stimmung.
In Nigeria seien die Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen wohl eher ein Streit um Machtpositionen im Vorfeld der anstehenden Wahlen.
Auch die Demonstration in Teheran müsse man relativieren, erklärte Bank. Angesichts einer Einwohnerzahl von 14 Millionen sei ein Aufmarsch von 500 protestierenden Menschen sicherlich nicht als Ausdruck eines wütenden Protests der gesamten Bevölkerung zu werten.
Die Masse der Menschen in arabischen Ländern habe wichtigere Probleme als die Karikaturen: Ihnen gehe es vielmehr um die Sicherung ihrer materiellen Existenz.
Knapp zweieinhalb Stunden diskutierten knapp 30 Anwesende angeregt über die Positionen der Referenten. Einen ausführlichen Bericht über die Veranstaltung von Anja Michaelis hat die Online-Zeitung marburgnews am Freitag (3. März) veröffentlicht.

Franz-Josef Hanke

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

*