„Viele Forderungen der AfD richten sich gegen die Interessen der eigenen Wählerschaft.“ Diese Tatsache hat Katharina Nocun bei der Durchsicht von Wahlprogrammen der sogenannten „Alternative für Deutschland“ (AfD) festgestellt. Auf Einladung der Humanistischen Union (HU) diskutierte die ehemalige Bundesgeschäftsführerin der Piratenpartei am Donnerstag (27. Oktober) im Käte-Dinnebier-Saal des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) mit knapp 20 Interessierten über „AfD abseits faktischer Diskussionsgrundlagen“.
Am Vorabend hatte „Kattascha“ – wie sich Nocun auf twitter und im Internet nennt – im Stadtverordnetensitzungssaal mit dem Stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel über das Freihandelsabkommen „CETA“ diskutiert. Ihre dort vorgebrachte Ermahnung, sich stärker in die Politik einzumischen und die Abgeordneten in den Parlamenten anzusprechen, wiederholte sie auch bei der Matinee am Donnerstag. Das beste Mittel gegen die AfD sei, sich in politische Debatten einzuklinken und dabei eigene Utopien einzubringen.
Man solle „nicht über jedes Stöckchen springen, das die AfD hin hält“, riet sie. Damit falle man nur auf die Medienstrategie der AfD herein, die Tabubrüche zur Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit nutze und dann die Debatten darüber mit Löschungen von Tweets und anschließenden Löschdiskussionen möglichst effektiv in die Länge ziehe.
Zwar könnten Journalisten die AfD nicht ignorieren, doch sollten sie ihr nicht mehr Aufmerksamkeit widmen als nötig. Angesichts der umfänglichen Berichterstattung über die AfD in deutschen Medien könnten ausländische Beobachter derzeit den Eindruck gewinnen, die AfD sei Regierungspartei.
In Österreich habe die – auch von der AfD angewandte – Medienstrategie der kalkulierten Tabubrüche dazu geführt, dass die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) nun möglicherweise die Präsidentschaftswahl gewinnen könnte. Deswegen riet Kattascha zu einem selbstbewussteren Umgang mit der AfD und den Verlautbarungen ihrer Vertreter. Man solle sich nicht von den Rechtspopulisten die Themen der politischen Agenda vorgeben lassen, sondern sie bewusst selber setzen.
Meistens werde die AfD zu Talkshows nur über das Thema „Flucht und Migration“ eingeladen oder von Journalisten dazu befragt. „Dazu können ihre Vertreter leicht ihre Positionen herunterbeten“, betonte Nocun. Zu anderen Politikbereichen seien sie jedoch oft überfragt.
Um sich selber „den Quelltext anzusehen“, hatte Nocun vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg das Wahlprogramm der dortigen AfD durchgearbeitet. Um sich nicht angreifbar zu machen, hatte sie die Aussagen darauf in ihrem Blog www.kattascha.de als Screenshots dokumentiert und dann kommentiert. Übertitelt hatte sie diesen Blogbeitrag mit „Was Sie wissen sollten, bevor sie die AfD wählen“.
Das Interesse an diesem Text war so groß, dass Nocuns Webseite wegen Überlastung stundenlang nicht mehr erreichbar war. Einen Tag war sie sogar die meistabgerufene Internetseite in Deutschland.
Zudem fühlte sich die AfD bemüßigt, die Autorin dieses kritischen Beitrags in einem eigenen Text auf der Partei-Homepage zu diffamieren. „Ihre polnische Herkunft“ erwähne sie dabei nicht, schrieb die rassistische Partei maliziös.
In Ergänzung zu ihrem Blogbeitrag hat Nocun anschließend für die Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) eine ausführlichere Analyse des Wirtschaftsprogramms der AfD erstellt. Darin hat die Wirtschaftswissenschaftlerin einander widersprechende Aussagen herausgestellt.
So setze sich die Partei für eine völlige Abschaffung der Erbschaftssteuer und die Senkung des Spitzensteuersatzes ein. Gleichzeitig fordere sie aber mehr Geld für Polizei und Überwachung.
In ihrem Text sowie bei der Veranstaltung der HU Marburg kennzeichnete sie die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der AfD als wesentlich radikalere neoliberale Positionen als bei der FDP. Ihre Forderung nach Senkung der Hartz-IV-Regelsätze und die Einführung von „Bürgerarbeit“ richteten sich ebenso gegen die Interessen derjenigen, die als Betroffene einen Großteil der AfD-Wählerschaft stellen, wie die Kritik am gesetzlichen Mindestlohn.
Kunst und Kultur wolle die AfD danach ausrichten, dass sie ein „positives Bild von Deutschland vermitteln. Ähnliches erlebe Polen derzeit unter der Regierung der rechtspopulistischen PIS-Partei, erläuterte Nocun.
Eindeutig rassistisch positioniere sich die AfD sowohl in ihrem Programm als auch durch Verlautbarungen ihrer Vorsitzenden Frauke Petry. Das Wort „völkisch“ hatte sie als unproblematischen Begriff in der politischen Debatte verwandt wissen wollen. Tatsächlich sei es jedoch ein Synonym für das – den Hitler-Faschisten zu lateinisch geprägte – Wort „nationalsozialistisch“.
Die Forderung der AfD, Flüchtlingen nur solche Kurse zu finanzieren, die für sie nach der Rückkehr in ihr Heimatland nützlich seien, führe im Ergebnis zur Abdrängung der Geflüchteten in Parallelgesellschaften. Damit erzeuge die AfD genau das, was sie dann hinterher kritisiere.
Deshalb sei die AfD „brandgefährlich“, warnte Nocun: Die Partei erzeuge den Nährboden für rassistische Hetze und Gewalt, die sich in der erschreckend hohen Zahl von Angriffen auf Flüchtlingsheime niederschlage. Ihre Programmatik sei fremden-, frauen- und letztlich menschenfeindlich.
Die angeregte Diskussion im Käte-Dinnebier-Saal endete schließlich mit dem Appelll, der AfD nicht die politische Agenda zu überlassen und mit eigenen Themensetzungen entgegenzusteuern. Ein wichtiges Gegenmittel gegen die AfD ist nach Nocuns Ansicht auch der Kampf für mehr Demokratie und mehr Transparenz.
Dafür engagiert sich die junge Aktivistin in hervorragender Weise. So hatte sie ihre Kritik an der AfD am Donnerstagmorgen bereits beim Podcast Lagebesprech artikuliert. Dieser Podcast steht ebenso online wie ein Mitschnitt der beiden Diskussionsveranstaltungen der HU Marburg mit Kattascha.
Franz-Josef Hanke
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