„Polizeigewalt gibt es nicht“ sagte Olaf Scholz. Von einem „Generalverdacht“ sprachen Vertreter von Polizeigewerkschaften.
Das störrische Leugnen von Polizeigewalt ist ein erschreckender Beleg für die Strukturelle Gewalt innerhalb der sogenannten „Sicherheitsbehörden“: Statt sich mit Fehlleistungen auseinanderzusetzen, werden sie geleugnet. Kritikerinnen und Kritiker werden angegriffen wie beispielsweise die SPD-Vorsitzende Saskia Esken von ihren eigenen „Parteifreunden“ in der SPD.
Polizeigewalt wird systematisch totgeschwiegen und abgetan. Wie bereits in der Antike, wird auch bei Fällen von Polizeigewalt der Überbringer der schlechten Nachricht – zumindest im übergragenen Sinne – hingerichtet.
Wer Übergriffe von Polizeibeamten im Dienst anzeigt, muss in aller Regel mit einer Gegenanzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechnen. Meist bleiben Übergriffe der Polizei straflos, während häufig die Opfer von Polizeigewalt bestraft werden. Zeugen aus der Polizei schenkt die Justiz meist mehr Gehör als Zeugnissen von Übergriffen der Polizei.
Diese Zustände sind strukturell verankert in der Praxis bundesdeutscher Polizeiarbeit. Regelmäßig wehren Vertreter von Polizeigewerkschaften die Forderung nach Polizeibeauftragten mit dem Argument ab, damit werde die Polizei unter „Generalverdacht“ gestellt. Auch Politikerinnen und Politiker tun sich schwer mit einer wirksamen demokratische Kontrolle der Staatsgewalt.
Dabei gehört die Begrenzung jeglicher macht zu den Grundbedingungen echter Demokratie. Die Kontrolle der Macht durch die institutionelle Verankerung ihrer Begrenzung ist ein elementares demokratisches Grundprinzip. Gewaltentrennung und Transparenz verhindern ein Abdriften demokratischer Institutionen in diktatorische Verhaltensweisen.
Doch die >Polizei wehrt sich vehement gegn das Prinzip der Gewaltentrennung, das ihr nicht nur den Innenminister als Dienstherrn in der Exekutive, sondern auch einen – von der Legislative gewählten – Unabhängigen Polizeibeauftragten entgegensetzen muss. Das Wort „Generalverdacht“ als Argument dagegen ist nur eine Verbrämung der Vorstellung, Polizeiarbeit müsse sakrosankt sein und dürfe nicht durch demokratische Kontrolle „behindert“ werden.
Wer so undemokratisch argumentiert, hat in der Polizei eines demokratischen Rechtsstaats nichts zu suchen. In ihrem eigenen Interesse müssen demokratisch orientierte Beamtinnen und Beamten Wert legen auf Transparenz und eine Instanz, wo auch sie selber Beschwerden über Mißstände einbringen können, ohne den Zorn ihrer Vorgesetzten fürchten zu müssen. Im ureigensten Interesse ihrer Beschäftigten muss die Polizei sich und die Bevölkerung vor Übergriffen und Machtmissbrauch schützen.
Wenn trotz mangelnder struktureller Unterstützung von Whistlebblowing dennoch einmal rassistische Übergriffe oder rechtsextreme Aktivitäten in der Polizei bekannt werden, ist bislang immer von „Einzelfällen“ die Rede. Diese „Einzelfälle“ häufen sich jedoch. In Chats von Dienstgruppen der Polizei werden Nazi-Symbole geteilt und von einer schweigenden Mehrheit der betreffenden Dienstgruppe gedeckt.
Mehrere rassistische Drohschreiben an die Frankfurder Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz kamen den bisherigen Recherchen zufolge von Faxgeräten des 1. Frankfurter Polizeireviers. Diese Morddrohungen waren mit „NSU 2.0“ unterschrieben. Mit dieser Unterschrift haben sich die Absendenden zur Neonazi-Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) bekannt.
Doch statt Ermittlungen wegen Mitgliedschaft in einer Terroristischen Vereinigung gabben sich die Ermittelnden in der Staatsanwaltschaft anscheinend damit zufrieden, dass sie die „Mauer des Schweigens“ nicht durchbrechen konnten. Dabei hätte hier der Beneralbundesanwalt (GBA) ermitteln müssen. An diesem Beispiel zeigt sich die strukturelle Schwäche der Justiz bei Verfahren gegen Übergriffe der Polizei, auf deren Unterstützung Staatsanwaltschaften und Gerichte bei der Strafverfolgung schließlich angewiesen sind.
Neben Unabhänigen Polizeibeauftragten braucht der demokratische Rechtsstaat deshalb auch eigene Sonderanwaltschaften ausschließlich für Amtsvergehen in Polizei, Justiz und Vollstreckungsbehörden. Eine Kumpanei der Ermittelnden mit den Beschuldigten muss durch strukturelle Rahmenbedingungen ausgeschlossen werden.
Wie die Bevölkerungsmehrrheit ist auch die Polizei nicht frei von den Wirkungen jahrzehntelanger kultureller Gewalt gegen sogenannte „Minderheiten“. Allerdings trifft Rassismus und gewaltverherrlichende Haltungen in der Polizei auf strukturelle Vorbedingungen, die die Entfaltung derartiger Verhaltensweisen begünstigen. Waffennarren suchen sich natürlich eher eine Arbeit bei der Polizei oder im Militär als anderswo.
Darumsind intensive Schulungen in gewaltfreiem Verhalten dort ebenso unerlässlich wie eine systematische Unterweisung auf den Gebieten „Menschenrechte“, „soziale Benachteiligung“ und politische Bildung im Allgemeinen. Auch eine Personalpolitik mit einer Einstellung möglichst unterschiedlicher Menschen aus vielfältigen sozialen Millieus wäre wünschenswert. Polizei muss den Menschen auf der Straße auf Augenhöhe begegnen, wenn sie das Gewaltmonopol auf Grundlage der Verhältnismäßigkeit durchsetzen soll.
Das Gewaltmonopol des Staates ist eine Errungenschaft für das friedliche Zusammenleben der Gesellschaft. Grundbedingung dafür ist jedoch die Unterwerfung der Polizei unter die strenge Kontrolle des Rechtsstaats. Dafür sind Polizeibeauftragte und spezielle Staatsanwaltschaften unerlässlich.
Dem staatlichen Gewaltmonopol widerspricht die Ausstattung der Polizei mit Gewehren, panzern, Wasserwerfern, Reizgas, Tasern und Trojanern. Aufgabe der Polizei ist nicht die Unterdrückung einer kritischen Auseinandersetzung mit staatlichen Entscheidungen, sondern vielmehr der Schutz der Meinungsfreiheit und des Demonstrationsrechts. Deeskalation muss oberstes Prinzip polizeilichen Handelns sein, wenn der rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht in Gefahr geraten soll.
Natürlich gibt es in der Polizei viele aufrechte Beamtinnen und Beamte, denen die Demokratie genauso am Herzen liegt wie der Bevölkerungsmehrheit. Ebenso wie viele benachteiligte Menschen engagieren auch sie sich klar gegen Rassismus und rechtsradikale Entwicklungen. Damit die Demokratie eine menschenfreundliche Zukunft hat, müssen Antifaschistinnen und Antifaschisten, Demokratinnen und Demokraten, Polizistinnen und Polizisten gemeinsam mit Menschen aus sozial oder kulturell benachteiligten Bevölkerungsgruppen für ein friedliches Zusammenleben in gegenseitigem Respekt ohne egoistische Gier und ausgrenzende Gewalt eintreten.