Am 09.05.1945 hielt der am 01.07.1968 verstorbene Vater der Auschwitzprozesse, Herr Fritz Bauer im Plenarsaal der schwedischen Gewerkschaften eine beachtenswerte Abschiedsrede. Diese ist an Aktualität kaum zu überbieten, zumal die Erben Konrad Adenauers am 22.11.2011 im Bundestag erklärten: „Wir sind zutiefst beschämt!“ (FAZ vom 23.11.2011 mit dem Grusel-Kabinett auf der Titelseite). Schämen und verschwinden sollten sie, während jeder nur halbwegs geschichtsbewußte Mensch vor Wut in die Luft gehen möchte. Diese Herrschaften sind heute ebenso wenig unwissend wie der ganz überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung in der Zeit von 1933 bis 1945. Widerlich ist das! Darüber soll Punkt für Punkt entlang der historischen Worte des Herrn Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer nachgedacht werden. Er zeigte die gebotene Demut vor den schlimmen Ereignissen bis zum Ende des zweiten Weltkrieges und hoffte auf eine bessere Zukunft – „… neues Leben blüht aus den Ruinen“ – aufgrund wirklich einschneidender Maßnahmen gegen den deutschen „Größenwahn“ in Gestalt eines unersättlichen imperialistischen Systems.
1.
„Deutschland ist eine tabula rasa …, ein neues und besseres Deutschland, kann und muss von Grund auf aufgebaut werden. Es ist nicht umzubauen, es ist neu aufzubauen. …“
Die „tabula rasa“, die Fritz Bauer meinte, ist mir nicht bekannt. Zur Zeit der Rede lag Deutschland in Schutt und Asche. Es gab einen viel zu großen, elenden Haufen überlebender Hitler-Faschisten ohne jeden Anstand und Moral, überwiegend nur daran interessiert, die eigene Haut zu retten und sich einen Persilschein ausstellen zu lassen.
Abgesehen von Überlebenden des Widerstandes hatte Deutschland nicht viel zu bieten. Herrn Fritz Bauer war es bewusst, dass mit diesen Menschen ein grundlegender Neuaufbau dieses Landes, das die Verantwortung für zwei Weltkriege trug, schwer sein würde. Die Gefahren eines Umbaus unter Beibehaltung der Fundamente des Hitler-Faschismus sah er frühzeitig. Er kam selbst darin um.
2.
„Wir bejahen die Abrüstung Deutschlands und die Umstellung seiner Kriegswirtschaft auf Friedensproduktion.“
Zu den Fundamenten der Bundesrepublik Deutschland gehört die traurige Tatsache, dass es Nachfolgern des Dritten Reiches mit Unterstützung der westlichen Alliierten gelungen ist, die Wiederbewaffnung Bundesrepublik und die Kriegswirtschaft gegen den Willen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung zum Teil mit Gewalt durchzusetzen. Dieses Trauerspiel nahm seinen Fortgang bis zum ersten kriegerischen und völkerrechtswidrigen Einsatz der Bundeswehr in Jugoslawien. Dafür tragen die Mitglieder der SPD und der Partei Die Grünen neben den Kriegern in CDU/CSU/FDP die Hauptverantwortung.
Wie erschüttert wäre wohl Herr Fritz Bauer gewesen, wenn er dies sehenden Auges hätte miterleben müssen? Hätte er sich übergeben müssen, wenn er erfahren hätte, dass die angeblich am Hindukusch für Freiheit kämpfende Bundeswehr schon in Schulen um Nachwuchs wirbt?
3.
„Wir bekämpfen jeden Versuch, die Alliierten gegeneinander auszuspielen sowie Revanchegedanken ins Volk zu tragen.“
Wie realistisch die Vorstellung war, dass dieser Kampf erfolgreich geführt werden könnte, lässt sich aus heutiger Sicht schwer beurteilen. Die Einheit der Alliierten war infolge des sich anbahnenden kalten Krieges in großer Gefahr. Den West-Alliierten ging es darum, ein antikommunistisches Bollwerk aufzubauen, wobei sie sich schon damals nicht zu schade waren, mit Nazi- und Kriegsverbrechern zu kollaborieren.
Die Gedanken der Nazis und des deutschen Kapitals an die „Revanche“ dürften vorhanden gewesen sein, wenn auch in einer anderen Form, als dies Fritz Bauer kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges zu erläutern vermochte. Die antikommunistische Karawane sollte weiterziehen und dem deutschen Imperialismus unter der Führung des Westens zu neuer Kraft verhelfen.
4.
„Wir anerkennen die Verpflichtung Deutschlands zum Schadenersatz für die in seinem Namen begangenen Kriegsverbrechen.“
Da unterschätzte der Herr Fritz Bauer die deutsche Mentalität des Vergessens. Dieser Charakterzug verhindert bis heute den angemessenen Ausgleich der Kriegsschulden. Er ist auf Seiten des Staates ebenso prägnant wie auf der Ebene der Verantwortlichen des deutschen, imperialistisch und global agierenden Kapitals, besonders deutlich auf dem Gebiet der deutschen chemischen Industrie (z. B. Behringwerke in Marburg, die die weiterhin angemessene Entschädigungsleitungen an Zwangsarbeiter verweigert.).
5.
„Wir wünschen, dass alle antinazistischen Kreise Deutschlands sich zusammenschließen, um den Nazismus in allen seinen Schattierungen und Verkleidungen niederzuschlagen und restlos auszurotten.“
Diese „antinazistischen“ Kreise mit diesem Anspruch sind nahezu ausgestorben, wurden wie die KPD verboten und werden heute als Anti-Faschisten von den Verfassungsschutzämtern, die mit dem deutschen Neo-Faschismus eng verbunden sind, beobachtet, verfolgt oder von Großaufgeboten der Polizei anlässlich von Kundgebungen gegen den Aufmarsch von Neonazis schikaniert, kriminalisiert und/oder gar verprügelt.
Der Wunsch des Herrn Fritz Bauer ging dank des heftigen Widerstandes der westlichen Alliierten und der Adenauer-Administration und ihrer Seilschaften nicht in Erfüllung.
Selbst exponierte Hitler-Faschisten bevölkerten massiv wichtige Postionen in Politik und Wirtschaft. An den „Grundlagen der Demokratie“ durften sie sich in gut bezahlten Stellen im Auswärtigen Amt, im Bundesnachrichtendienst, im Bundesministerium der Justiz und innerhalb der Justiz …. zu schaffen machen. Nazi-Juristen schrieben Grundgesetz- und Strafrechts-Kommentare und bestimmten damit Recht und Ordnung in der so genannten Demokratie made in Germany.
Herr Fritz Bauer wäre wahrscheinlich an einem traumatischen Schock gestorben, wenn er gewusst hätte, dass der Schlächter von Lyon Klaus Barbie im Jahr 1966 – die Zeit der großen Koalition – auf der Gehaltsliste des BND stand. Die dafür Verantwortlichen der CDU und der SPD sind dafür und weitere vergleichbare Aktionen nie zur Rechenschaft gezogen worden. Einsicht und Reue kann trotz intensiver Suche nicht gefunden werden. Stattdessen wird Beschämung angesichts der aktuellen Ereignisse geheuchelt, weit entfernt von der Bereitschaft, den historischen Hintergründen ins Auge zu blicken. Das ist erschütternd.
6.
„Die Kriegsverbrecher und Verbrecher am deutschen Volke, diejenigen, die den Nazismus zur Macht gebracht und den Krieg vom Zaune gebrochen haben, die Verbrecher der Lager von Buchenwald, Belsen und Maidanek sollen auf das härteste bestraft werden.“
Nur wenige der Gemeinten ereilte dieses Schicksal. Die Verbrecher tauchten zum Beispiel mit Hilfe deutscher Geheimdienste und/oder bestimmter Seilschaften innerhalb des Vatikans in südamerikanischen Diktaturen unter. Andere erhielten lukrative Posten innerhalb des Staates oder der Wirtschaft, um das so genannte „Wirtschaftswunder“ zu schaffen. Die härtesten Strafen waren das nicht eben.
Menschen, die gegen harte Strafen oder das Strafen an sich sind, müssen sich dennoch angewidert abwenden, weil viel zu viele „ Kriegsverbrecher und Verbrecher am deutschen Volke“ für ihre Taten im so genannten Dritten Reich belohnt und ihre Opfer mit lächerlichen Almosen abgespeist und verhöhnt worden sind.
7.
„Die soziale und wirtschaftliche Grundlage für den deutschen Imperialismus und Militarismus muss beseitigt werden.“
Genau das Gegenteil ereignete sich unter dem Deckmantel der formalen Demokratie. Die Triebkräfte des „deutschen Imperialismus und Militarismus“ konnten sich unter dem Schutz der Alliierten nach der militärischen Niederlage im kalten Krieg nach Kräften erholen. Sie verarmten nicht, sondern konnten den Gewinn aus zwei Weltkriegen konsolidieren und in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß auf Kosten der Völker der dritten Welt vermehren. Diese deutschen „neoliberalen“ und „global“ agierenden Kräfte konnten spätestens nach der so genannten „Wende“ die militärische Führung in Europa an sich reißen, womit wesentliche Ziele des deutschen Hegemonialstrebens aus dem vorvorigen Jahrhundert endlich erreicht werden konnten.
8.
„Deswegen muss der Großgrundbesitz, die Kraftquelle des deutschen Feudalismus und Militarismus, sowie die Großindustrie, die Heimstätte des deutschen lmperialismus, enteignet werden. …“
Nichts dergleichen ist erreicht worden. Um u.a. genau dies zu verhindern, ist es dem deutschen Volk im Jahr 1949 und in den Jahren nach 1989 verwehrt worden, über den Inhalt des Grundgesetzes als freie Bürger zu entscheiden. Der Parlamentarische Rat repräsentierte die in der Bundesrepublik lebenden Bürger nicht. Am 23.05.1949 hätte das schuldige deutsche Volk in ihrer Verfassung eine Remilitarisierung ihres Gemeinwesens ausgeschlossen.
Ansonsten gilt spätestens seit dem 03.10.1990:
„Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“ (Art 146 GG).
Es gibt seit mehr als 20 Jahren nicht einmal den Entwurf einer solchen Verfassung. Die so genannten Demokraten zeigten bislang keine Neigung, den in Deutschland lebenden Menschen die Installation eines demokratisches Fundaments zu ermöglichen, welches die Bezeichnung „Demokratie“ verdient.
9.
„Das deutsche Problem kann indessen nicht nur mit Kampfmaßnahmen gelöst werden. Die positiven Aufgaben bestehen in der Geburt einer neuen Demokratie.“
Die „Kampfmaßnahmen“ hätten sich gegen den Großgrundbesitz und die Großindustrie richten sollen. Doch ist unter der Führung solcher Personen wie des Herrn Konrad Adenauer ein ewiger Frieden zustande gekommen. Die Geburtswehen einer neuen Demokratie lassen nach der erfolgreichen Reintegration sehr aktiver Naziverbrecher in alle Ebenen der Verwaltung bis hin in die Bundesregierung, den Bundestag, die Justiz, die Geheimdienste, das Auswärtige Amt, die Länder, die Schulen und die private Wirtschaft bis heute auf sich warten. Blinder Antikommunismus funktionierte nahezu reibungslos als Blocker derjenigen Krämpfe, die die Geburt eines freiheitlichen und demokratischen Gemeinwesens hätten in die Wege leiten können.
10.
„Ein Parlament und eine Regierung wird es nach den Verlautbarungen der Alliierten bis auf weiteres nicht geben.“
So manche Bürger stellen sich mit Recht die Frage, ob dieser Dauerzustand anhält und das „Parlament“ und die „Regierung“ nicht aus Marionetten besteht, die sich allem, nur nicht den Bedürfnissen der Gemeinschaft der Bürger dieses Landes verpflichtet fühlen. Diese da wählten unlängst einen Bundespräsidenten aus Niedersachsen, der niemals Organisationen, die sich dem Kampf gegen die Korruption oder den wieder auflebenden Faschismus verschrieben haben, angehören wird.
11.
„Demokratisches Leben wird sich in den Gemeinden, in den Betrieben und Gewerkschaften entfalten, hier werden Deutsche langsam das demokratische Laufen lernen. …“
Das war ein idealistischer Wunsch, der die Kräfte der internationalen Reaktion unterschätzte. Der gezielte Aufbau eines gleichgeschalteten System einer konzentrierten Presse und einer demokratisch nicht legitimierten Rundfunk- und Fernsehwirtschaft hatte großen Erfolg. Ohne diese Krücken dürfen „Deutsche“ nicht laufen. Von einem demokratisches Leben in den Gemeinden, Betrieben und Gewerkschaften kann Anfang des Jahres 2012 keine Rede sein.
12.
„Entscheidend wird aber der wirtschaftliche Neuaufbau des Landes sein. Deutschland ist eine große Konkursmasse.“
Das Land ist in der Tat wirtschaftlich relativ rasch neu aufgebaut worden. Die Konkursmasse war groß. Leider ist die Verteilung dieser Masse nicht den Gläubigern, sondern den Schuldnern zugeflossen. Die Verantwortlichen und Schuldigen des Krieges gegen den Rest der Welt sind vollständig saniert aus der unmenschlichen Materialschlacht des zweiten Weltkrieges hervorgegangen. Für ihre Verbrechen mussten nur ganz wenige büßen. Heute stehen die Kriegsgewinnler in Europa ganz vorn da. Das ist einer der größten Skandale des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts; eine Schande mit dem größtmöglichen negativen numerischen Vorzeichen und das falsche Signal für das sich ankündigende Zeitalter des Neo-Kolonialismusses.
13.
„Ein deutscher New Deal, ein Fünf- oder Zehnjahresplan muss in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion gestellt werden, um die breitesten Massen an seiner Durchführung zu interessieren und ihnen die Gewissheit einer friedlichen, aufbauenden und sozialen Zukunft zu geben.“
Ernüchternd ist zu resümieren, dass es diesen „deutschen New Deal“ nicht gab. Die nach dem Krieg zunächst völlig am Boden liegenden Gewerkschaften machten sich schon in der Epoche Adenauers zum Büttel der Sozialdemokratie und Partner des Kapitals. Von diesem zweiten Nachkriegsschlag haben sich die Gewerkschaften, deren Bosse nicht selten in noch größeren Luxuskarossen als die Führer deutscher Banken herumkutschieren, nicht erholt. Gegenwärtig müssen sich die Gewerkschaften sich nicht wundern, wenn die „Sozialpartnerschaft“ mit der Deutschen Arbeitsfront (DAF – von 1933 bis 1945) verglichen wird, auch wenn die Unterschiede historisch gesehen beachtlich sind. Am gegenwärtigen Einheitsbrei der Arbeitnehmer und Arbeitgeber ändert das allerdings nichts. Daran ändern die wenigen Menschen mit aufrechtem Gang innerhalb der bundesdeutschen Gewerkschaftsbewegung leider nichts, auch wenn deren unermüdlicher Einsatz auf verlorenem Posten große Achtung verdient.
14.
„Niemand von uns verlangt Mitleid für das deutsche Volk. Wir wissen, dass das deutsche Volk erst in jahre-, jahrzehntelanger Arbeit sich die Achtung und Sympathie
(Sympathie heißt Mitleid) erwerben muss.“
Ja, das „deutsche Volk“ wird wieder in Europa und der Welt gefürchtet. Es ist Mitglied der aggressiven NATO und steht stur an der Seite einer der aggressivsten und kriegslüsternsten Nationen dieser Erde. Die geforderte jahrzehntelange Arbeit fand leider nicht statt. Der gegenwärtig herrschende sehr gewaltbereite Nationalismus und Rassismus sowie die zunehmende Ausländerfeindlichkeit gebieten nicht die Achtung, die der sehr geschätzte Herr Generalstaatsanwalt Fritz Bauer in seinem Kopf hatte, als er Mitleid für dieses Volk – es war eigentlich eine als Täter und Teilnehmer verschworene Bande von Kriegsverbrechern – ablehnte.
15.
„Wir hoffen, dass das deutsche Volk dies versteht, auf dass nach rücksichtsloser Ausrottung allen Nazismus das Wort in Erfüllung gehe: Und neues Leben blüht aus den Ruinen.“
Die Hoffnung des Herrn Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer musste bitter enttäuscht werden. Als er seine Rede am 09.05.1945 hielt, konnte und wollte er das nicht ahnen. Später musste er diese bittere Wahrheit zähneknirschend und einsam hinnehmen. Nur vereinzelt blühte das Leben im Nachkriegsdeutschland, so als die ganz eindeutige Mehrheit der in der BRD lebenden Bevölkerung die Wiederbewaffnung ablehnte und die Studentenbewegung der sechziger und siebziger Jahre des schon vergangenen Jahrhunderts eine grundlegende Veränderung dieser postfaschistischen und rechtskonservativen Gesellschaft anpeilte.
Den Widerstand der starken, alten Seilschaften dürfte Herr Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gespürt haben, als er mit all seiner Kraft die Führung der Auschwitzprozesse durchsetzte. Sein Tod war womöglich die Rechnung für seinen unerschütterlichen Kampf um Nachkriegsgerechtigkeit. Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt wird schon gewusst haben, warum sie nach dem 01.07.1968 die Obduktion des Leichnams des Herrn Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer ablehnte. Auch wenn die Todesursache ob des Verhaltens der Nachkriegsseilschaften innerhalb und außerhalb der Frankfurter Strafverfolgungsbehörde letztlich ungeklärt bleiben musste, wird der Mensch und das Werk des Herrn Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer noch lange nicht in Vergessenheit geraten. Diese Persönlichkeit ließe sich von den Kriegstreibern in den bürgerlichen Parteien bis hin zu den „Die Grünen“ nicht vereinnahmen. Das wäre eine Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener!